Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Empfänger – was er auch tut – immer nur verlieren, d.h. ein Verhalten zeigen kann, das der Sender ihm hinterher vorwerfen kann.
Kommunikationsforscher meinen herausgefunden zu haben, dass derartige «Sei-spontan!»-Paradoxien gehäuft in Familien mit schizophrenen Mitgliedern gesendet werden, dass solche Appelle vermutlich gefährliche «Krankmacher» sind, da sie dem (zur Metakommunikation unfähigen) Empfänger keinen Ausweg lassen.
Umgekehrt lassen sich paradoxe Appelle aber auch als «Gesundmacher» verwenden, wenn man sie gezielt gegen Symptome einsetzt, die naturgemäß auch spontan sind und durch «Verschreibungen» daher irgendwie «unmöglich» werden. Das Ehepaar, das sich «auf Befehl» streiten soll, wird feststellen, dass es nicht recht gelingen will. Wenn aber die Ausführung eines Symptoms nicht gelingt, ist dies die Heilung (oder doch wenigstens ein erster wichtiger Schritt). In ähnlicher Weise führt das absichtliche Herbeiführen des Tics dazu, dass dieser seinen spontanen Charakter verliert. Der Klient wird «Herr» über sein Symptom, ist ihm nicht mehr ausgeliefert.
4.4
Paradoxe Appelle als taktisches Manöver zur Oberhand-Sicherung
Die bisher dargestellten Überlegungen lassen sich zusammengefasst auf einen etwas einfacheren Nenner bringen: Eine Handlung ändert ihre psychologische Qualität, wenn sie appellgemäß erfolgt. Dieser Umstand lässt sich taktisch nutzen, und zwar dann – wie wir gesehen haben –, wenn die Handlung in ihrem Wesen spontan ist. Durch Instruktion verliert sie ihren Charakter oder wird ganz unmöglich. Dasselbe gilt für Handlungen, die als Beweis für die eigene Unabhängigkeit und Unbeeinflussbarkeit dienen sollen. Das Verhalten von Kindern und Jugendlichen ist vielfach von diesem Motiv bestimmt, besonders wenn die Erzieher mit deutlich autoritärem Anspruch auftreten. In dem Augenblick, wo der Zweijährigen gesagt wird: «Bleib sofort da oben und tanz weiter!», verändert sich der Charakter ihrer Handlung: Bis eben die dreiste Demonstration einer «Ich-mach-was-ich-will-Haltung» wird sie nun zu einer Befehlsausführung (die dann auch prompt «verweigert» wird). Der Gebrauch paradoxer Appelle jedoch ist in der Erziehung und im mitmenschlichen Zusammenleben überhaupt ein zweischneidiges Schwert, so «erfolgreich» sie unter Umständen auch sein können. «Es wäre oft nicht schwer, Kinder wie auch Erwachsene durch Anbefehlen des Gegenteils auf den richtigen Weg zu bringen. Nur liefe man dabei Gefahr, alle Gemeinschaftsgefühle zu untergraben, ohne die Selbständigkeit des Urteils zu fördern; und ‹negative Abhängigkeit› ist ein größeres Übel als Folgsamkeit.» (Adler 1973 a, S. 220)
In Ausnahmefällen hingegen mögen paradoxe Appelle eine Notlösung zur Sicherung der Oberhand darstellen. Trage ich einer lärmenden Schulklasse auf, sie solle starken Lärm machen – so mögen folgende Vorteile dieses Verhalten in Betracht kommen lassen: 1. Ich gewähre der Klasse, was sie (im Augenblick) offenbar braucht. 2. Reagiert sie appellgemäß, dann immerhin unter meinem Kommando. Ich benötige ein Minimum an Oberhand, auch und gerade dann, wenn ich schrittweise partnerschaftliche Umgangsformen einzuführen bestrebt bin. – Reagiert die Klasse hingegen appellwidrig, habe ich, was ich will und kann das Geschehen leichter steuern. – Ein Beispiel von Zulliger beschreibt Röhm: Permanente Prügeleien unter den Schülern fanden nun unter Anleitung des Lehrers statt: «Der Streit wird hier ausgetragen. Einer haut dem anderen eine herunter, ringsum. Wer genug hat, kann sich melden und darf dann heimgehen! Los!» (Zulliger 1970, zitiert nach Röhm 1972, S. 128)
5.
Offene Appelle
Verdeckte und paradoxe Appelle stellen den Versuch dar, die Spuren der eigenen Absichten zu verwischen. Dies kann, wie wir gesehen haben, um der Wirkung willen mit gutem Grund geschehen. Wo allerdings der Wunsch besteht, jenseits von Manipulation und Geschicklichkeit sich eine Welt der klaren, ehrlichen, herrschaftsfreien Beziehungen aufzubauen, dort gehört der offene Appell, also der direkte Ausdruck von Wünschen und Aufforderungen, zu den tragenden Säulen einer solchen Kommunikation. In vielen Fällen kann der offene Appell nachgerade zum «Heilmacher» einer «kranken» Kommunikation werden (s. S. 292). So wissen etwa Ehetherapeuten zu berichten, dass manche Partnerschaft daran krankt, dass die Partner ihre Wünsche nicht oder nur in ganz verschlüsselter Form
Weitere Kostenlose Bücher