Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
unterscheiden.
4.4
Die erste Stufe der Verbannung
Nehmen wir zunächst den roten Faden wieder auf: Die Persönlichkeit des Menschen ist von Gegensätzen geprägt, die wir als zusammengehörige Geschwister gekennzeichnet haben. Lebensgeschichtliche Einflüsse sowie der Erwartungsdruck, der sich mit einer Berufsrolle verbindet, führen dazu, dass diese Geschwister vielfach ein unterschiedliches Bühnenschicksal haben: Der eine darf und muss wieder und wieder als Hauptdarsteller an die Kontaktlinie treten, der andere bleibt mehr oder minder hinter dem Vorhang, bis hin zum strikten Auftrittsverbot.
Die erste Stufe der Verbannung besteht darin, dass die betroffenen Antipoden zwar hinter den Hauptdarstellern verdeckt bleiben, aber vom Oberhaupt
deutlich gespürt werden,
prinzipiell anerkannt und geschätzt sind.
«Nur» aus Opportunitätsgründen entscheidet das Oberhaupt: So sollte ich mich hier besser nicht zeigen!
Wenn zum Beispiel die Animateurin abends bei den Gästen sitzt und die Zoten mit jedem Glas Wein immer widerwärtiger werden, spürt sie zwar insgeheim ihren Widerwillen, lässt sich aber nichts anmerken: Sunnygirl bleibt im Außendienst und lacht pflichtschuldigst mit, wenn auch ein wenig gequält, weil die Angewiderte im Untergrund der Bühne stänkert. Diese Antipodin steht hier an sich zur Verfügung, sie ist einsatzbereit und bräuchte nur Erlaubnis und Ermutigung, um sich zu zeigen. In der Kommunikationsberatung würden wir zwei Arbeitsschritte vollziehen:
Erster Schritt: Die Angewiderte im Einzelinterview genau kennenlernen: Was genau ist ihr peinlich, woran nimmt sie Anstoß? Sie, die sich so oft zurückgehalten hat, erhält jetzt einmal Gelegenheit, die «ungehaltene Rede einer ungehaltenen Frau» (vgl. Brückner 1995) zu halten – was eine sehr entlastende Wirkung haben kann.
Gleichfalls ist es ratsam, in derselben Weise Sunnygirl genauer kennenzulernen: Wie verhält sie sich genau? Welche Gefühle und Überzeugungen verbinden sich mit diesem Verhalten? Musste Sunnygirl für diesen Job neu eingestellt werden, oder ist sie eine «alte Bekannte» im inneren Ensemble?
Zweiter Schritt: Nachdem die beiden Mitarbeiterinnen bekannt sind, stellt sich nun die Frage, wie sie, einander unterstützend und ergänzend, ein Team werden können. Die Angewiderte (allein) lässt sich schlecht mit der Rolle der Animateurin vereinbaren – und Sunnygirl (allein) wird dem Menschen in der Rolle zur Qual. Wie können die beiden aus der Not (ihrer Gegensätzlichkeit) eine Tugend (ihrer Ergänzungsfähigkeit) machen? Dies ist die Stunde der kommunikativen Kreativität! In der Kommunikationsberatung verfügen wir über zahlreiche Methoden, um auf die Suche zu gehen (Schulz von Thun 1996).
Zum Beispiel wäre es möglich, die Gruppe zu einem «act storming» (Redlich 1994) einzuladen: Im Unterschied zu einem Brainstorming, bei welchem verschiedene Ideen gesammelt werden, werden hier verschiedene Verhaltensvorschläge im Rollenspiel vorgeführt, alle mit der Leitidee, die (wahrhaftige) Angewiderte mit dem (diplomatischen) Sunnygirl zu verbinden. So lautet zum Beispiel ein Vorschlag, wie die Animateurin in der Situation reagieren könnte: «Oje, Herr …, jetzt darf es aber nicht mehr schlimmer kommen. Im Grunde sind Sie ein Mensch mit Niveau, aber (spitzbübisch lächelnd) wahrscheinlich braucht der Niveauvolle in Ihnen auch mal Urlaub!? – Ich möchte mal einen Vorschlag machen …» – und schlägt etwas vor, worauf sie selbst Lust hat und was dem Beisammensein eine atmosphärische Wende geben kann.
Wenn mehrere Verhaltensideen vorliegen, kann die Animateurin auswählen, was ihr und der Situation am besten entspricht, und sie kann für diesen Typus von Situationen ihr Team-Repertoire entwickeln. Im Idealfall sagen die Gäste später, wenn sie unter sich sind: «Die kann einem manchmal ganz schön harte Sachen sagen, aber irgendwie auf eine Art, dass man nicht böse wird und sogar noch lachen kann!»
Der Zusammenhang von innerer und äußerer Teamentwicklung
In der ersten Stufe der Verbannung sind die Antipoden also einsatzfähig, aber zurückhaltend. In realen Arbeitsteams ist diese innere Aufstellung typisch und angemessen, solange das Team sich noch in einer anfänglichen Phase der Wir-Bildung («forming») befindet. Konventionalität und oberflächliche Höflichkeit bestimmen das Klima, solange man gefühlsmäßig noch nicht zusammengehört und der Einzelne seinen «Platz» noch nicht gefunden
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