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Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Titel: Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Ensembles in die Verbannung treibt. Es wäre eine interessante Aufgabe der Forschung, für verschiedene Berufe diese inneren Konstellationen herauszuarbeiten (s. Winkler, Diplomarbeit 1993 über Kommunikationstrainer; Sautter, Diplomarbeit 1997 über Werbefilm-Regisseure). Eine moderne Berufsberatung könnte dann auch auf die seelischen Herausforderungen aufmerksam machen, die auf den Träger dieser Berufsrolle zukommen werden. Und in der beruflichen Aus- und Fortbildung könnten solche Themen rechtzeitig eingeführt werden, um Möglichkeiten der Prophylaxe und Bewältigung zu erkunden.
    Sind Sie Lehrerin oder Manager, Schülerin oder Lehrling, Tanzlehrer oder Stewardess, Krankenschwester oder Taxifahrer, Ärztin oder Altenpfleger, Verkäuferin oder Filialleiter? Was auch immer Sie sind, es lohnt sich, einmal die berufstypische Mannschaftsaufstellung herauszuarbeiten, sowohl die ständige Einsatztruppe im Vordergrund, nahe an der Kontaktlinie, als auch diejenigen, die in dieser Rolle nicht gern gesehen sind und nach hinten verbannt werden. Mit diesem Ihrem berufstypischen Schattenkabinett werden Sie es vermutlich zu tun bekommen.
    Dies in Betracht zu ziehen mussten wir als Kommunikationstrainer erst lernen. Wir hatten uns zum Beispiel die Kommunikationsfortbildung für Ärztinnen und Ärzte anfangs so gedacht, dass wir ein einfühlsames Gesprächsverhalten zur Einübung anbieten könnten, getreu der Einsicht, dass der beste Balsam für manche Wunde das Wort und das Ohr eines zugewandten Menschen ist. Bald stellten wir aber fest, dass der «Heilfaktor Mensch» zunächst und vordringlich selbst heilungsbedürftig war: Viele Ärzte, die ihren Onkel Balsam im ständigen Einsatz hatten, befanden sich am Rand der seelischen Erschöpfung, weil im hinteren, unausgeleuchteten Teil ihrer inneren Bühne das «Elend der Antipoden» herrschte (vor allem anlehnungsbedürftige und aggressive Mitglieder). Als jugendlicher Patient war ich in der Sprechstunde eines mir freundlich gesonnenen Arztes. Plötzlich, ich weiß nicht mehr, warum und wieso, kam er mit «geladener» Stimme darauf zu sprechen, wie er es überdrüssig sei, von morgens bis abends «Händchen zu halten», und wie er mal am liebsten «mit der Sense» durch die Patientenschar laufen würde – und dann, wie zur Bekräftigung, nahm er einen Revolver aus der Schublade und knallte ihn auf seinen Schreibtisch.
    Der letzte Teil der Erinnerung kommt mir aus heutiger Sicht so unwahrscheinlich vor, dass ich lange darüber gegrübelt habe, ob es sich wirklich so ereignet hat oder ob nicht in meiner Phantasie Dichtung und Wahrheit miteinander verschmolzen sind. Es hat sich aber wirklich so zugetragen. Dieser Arzt hatte noch 25 Jahre später eine gutgehende Praxis, war also keineswegs krank oder «ausgeflippt». Ein in den Hintergrund verbanntes Teammitglied eines gesunden Menschen hatte lediglich in einem unbewachten Augenblick die innere Mauer übersprungen. Im Volksmund heißt das, jemand ist «ausgerastet». Dabei ist es ein wichtiger Unterschied, ob dieser Verbannte nun das Kommando an sich reißt und die Gesamtperson zu einem Amoklauf veranlasst (was hier nicht geschah) oder ob das Oberhaupt die letzte Kontrolle bewahrt und dem Verbannten nur ein Stück weit freien Lauf lässt (was hier geschah).
    Jedenfalls mussten wir uns in unserer Kommunikationsfortbildung für Ärzte umstellen: Bevor wir dem bereits überstrapazierten Onkel Balsam ein erweitertes Verhaltensrepertoire anbieten konnten (und damit die Spaltung zwischen der offiziellen Vorzeigehälfte und der «verdammten» Rückseite vertieft und verewigt hätten), mussten wir uns erst um die Elenden und Vergessenen kümmern, die sich von ganz hinten meldeten und sich als vordringliche «Notfallpatienten» zu erkennen gaben (s. Abb. 60).

    Abb. 60:
    Hauptdarsteller und Antipoden im Arztberuf
    Wie können wir als Kommunikationsberater, wie können wir aber auch als Menschen, die im Leben stehen, mit den rückwärtigen Antipoden umgehen, mit jenen ausgegrenzten, manchmal elenden, manchmal scheuen Wesen, die, von der Kontaktlinie ferngehalten, in ihrer Teilnahme und Mitwirkung eingeschränkt sind und infolgedessen zu Sorgenkindern werden? Wie kann der Regisseur eine Teamentwicklung einleiten, wie kann der externe Berater dabei helfen?
    Da die Antwort auf diese Frage auch davon abhängt, wie radikal die Abdrängung beziehungsweise Zurückhaltung erfolgt, möchte ich im folgenden drei Stufen der Verbannung

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