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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Fetzen fliegen, heilsamer sein als ein zu frühes Einlenken, als eine konstruktive Sanftmut, um die wir uns vielleicht bemühen, obwohl wir eigentlich «geladen» sind? Müssen wir dann nicht für diese zu frühe Konstruktivität den Preis zahlen, dass sich der Konflikt wie eine verschleppte Krankheit in unseren Stimmungen verewigt? Und ist nicht überhaupt eine Prise Polemik die Würze jedes Dialoges, zumindest wenn es darum geht, Unterschiede und Gegensätze herauszuarbeiten?
    Wir betreten hier schwieriges Gelände. Die Humanistische Kommunikationspsychologie hatte doch mit Recht gerade den aggressiv-entwertenden Stil aufs Korn genommen: Reinhard und Anne-Marie Tausch (1977), indem sie auf die chronische Geringschätzung hinwiesen, mit der Kinder, Schüler und Untergebene, Angeklagte vor Gericht und Soldaten in den Kasernen hierzulande behandelt werden; Thomas Gordon, indem er in seiner «Familienkonferenz» (1972) die «typischen Zwölf» darstellte (unter ihnen das Beschuldigen, Herabsetzen, Belehren von oben herab) und die nachteiligen seelischen Folgen beschrieb. Deswegen hatten wir doch empfohlen, den extrapunitiv [16] ausgestreckten Zeigefinger der Du-Botschaft auf uns selbst zu richten und – nach geleisteter Selbstklärungsarbeit – eine Ich-Botschaft vorzutragen, die statt der Beschuldigung des anderen eine ehrliche Selbstoffenbarung enthalten sollte. Indem es nun möglich war, auch aggressive und negative Mitteilungen ohne den verletzenden Stachel der Du-Botschaft loszuwerden, schien doch die Quadratur des Kreises gelungen, nämlich Ehrlichkeit und Annehmbarkeit miteinander zu verbinden.
    Mehr noch: Kam nicht die mit der Ich-Botschaft untrennbar verbundene Grundhaltung der Selbsterforschung («Was hat das mit mir zu tun, was ist mein eigener Anteil an dem Geschehen?») endlich jenem Ideal der Menschlichkeit entgegen, das in der Bibel mit dem Bild des Splitters im Auge des anderen und des Balkens im eigenen Auge veranschaulicht ist? Und zwar auf eine Weise, die dieses Humanitätsideal vom unerreichbaren Sockel des ethischen Gebotes herunterholt auf die handhabbare Ebene der erlernbaren Fähigkeit, sich hinter die eigenen Kulissen zu schauen?
    Dies alles ist und bleibt gültig – und umfasst offenbar doch nicht die ganze Wahrheit. Inzwischen sind viele Menschen mit der Humanistischen Kommunikationspsychologie in Berührung gekommen und haben sich um den hier noch einmal skizzierten Weg bemüht. In einem Forschungsprojekt haben wir ihre Erfahrungen ausgewertet. Neben vielen ermutigenden Erfahrungen gab es auch Misserfolge, neue Fallstricke und entsprechende Vorbehalte. Die folgenden Erkenntnisse haben zu einer Art «Rehabilitierung der Du-Botschaft» geführt, jedenfalls für bestimmte personale und situative Kontexte:

    Die erste Erkenntnis bestand darin, dass jede Ich-Botschaft voraussetzt, dass ich mir darüber im Klaren bin, was in mir vorgeht. Aber gerade in emotional verzwickten Augenblicken ist vielen Menschen ihre Innenwelt nur sehr spärlich zugänglich. Die spontane Du-Botschaft, eingebettet in eine klärende Auseinandersetzung, kann geradezu ein Königsweg sein, um «dahinterzukommen», was sich innerlich abspielt. Eine dreißigjährige Studentin schreibt:
«Früher habe ich mich immer sehr über mich geärgert und mich als Versager empfunden, weil es mir nicht gelang, das, was ich über Kommunikation gelesen habe, im Alltag zu leben. Ab und an hab ich mir mal eine Ich-Botschaft ‹abgequält› und dann feststellen müssen, dass die erst recht nicht stimmig ist. Inzwischen habe ich für mich erfahren – dass ich ein ‹Ich› empfinden muss, damit ich ‹Ich› sagen kann – und dass gerade dieses ‹Ich› tief in mir vergraben war, sodass meine vielen Du-Botschaften sehr adäquat waren.»
    Adäquat in dem Sinne, dass das Verhalten dem eigenen gegenwärtigen Bewusstseinsstand entsprach und nichts anderes vorgab. In unseren Trainingskursen sind wir daher schon lange davon abgekommen, das «Senden von Ich-Botschaften» verhaltensmäßig einzuüben. Vielmehr dienen unsere Übungen jetzt dazu, die oben vermisste «Ich-Empfindung» nach und nach zu ermöglichen und prägnanter zu machen. Die Erweiterung der inneren Voraussetzungen für den Dialog hat Vorrang vor der Verhaltensempfehlung, die klärende Aussprache setzt die Selbstklärung voraus (Thomann und Schulz von Thun, 1988, S.54–97).
    Die zweite Erkenntnis rückt von der alten Gleichsetzung
    Ich-Botschaft = ehrlich = gutes

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