Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
problemlösende Energien zu mobilisieren und auf der inhaltlichen Ebene wirklich weiterzukommen,
– sich jene Kränkungen zu ersparen, die in die ganze künftige Gesprächskultur einen Bodensatz von Hass und Gehässigkeit legt; jene Kränkungen auch, die den Aufbau eines Panzers nötig macht, um sie abzuwehren (vgl. Richter, 1982).
Es war für mich wie für einen Teil meiner Generation eine ebenso verblüffende wie ernüchternde Erfahrung, dass ausgerechnet jene alternativen Bewegungen, die nicht nur eine andere politische Programmatik, sondern auch neue Formen des Miteinander-Umgehens entwickeln wollten (so zum Beispiel W. D. und C. Hasenclever, 1982) und die wir deswegen mit so viel Sympathie verfolgt haben – dass ausgerechnet diese die traditionellen Parteien im Hinblick auf interne Gehässigkeit und Selbstzerfleischung übertroffen haben.
Osbahr (1984) ging in einer empirischen Arbeit der Frage nach, ob dafür psychologische Gründe maßgeblich sein können, und ist dabei, auch in Anlehnung an Bauriedl (1984), zu sehr interessanten Überlegungen und Befunden gelangt. Ich versuche, die wesentlichen Punkte zusammenzufassen:
1. Offenbar ist es eine menschliche Eigenart, auf die Fragen und Probleme, die uns betreffen, ambivalent, das heißt mit einem inneren Einerseits-Andererseits zu reagieren. Nehmen wir als Beispiel die Einstellung eines Menschen zum Thema «Behandlung von Straftätern»:
Abb. 26:
Innere Ambivalenz zum Thema Behandlung von Straftätern
2. Solche Ambivalenzen sind zwar seelischer Regelfall, gleichwohl aber schwer auszuhalten. Wir neigen daher dazu, innere Anstandsregeln zu bilden (die meist der Ideologie der Gruppe entsprechen, der wir uns zugehörig fühlen), nach denen wir die eine Hälfte unserer Reaktion als böse (spießbürgerlich, sozialromantisch, unprogressiv) ansehen und uns selbst verbieten. Nun haben wir, als Erfolg dieser inneren Streichungsmaßnahme, eine eindeutige, klare Position, sind nicht mehr von innerem Zwiespalt gequält und befinden uns in Harmonie mit den eigenen Leuten. Diese Position, die wir für einzig menschlich, rechtmäßig, vernünftig erklären, wird zu einem Teil unserer Identität. Dies erklärt, warum wir uns bei sachlichem Widerspruch leicht persönlich angegriffen fühlen.
3. Die verbotene Hälfte wird als nicht «linientreu» aus dem inneren Empfinden abgedrängt. Für diese Verdrängung ist Energie nötig.
4. Diese Energie zeigt sich zum Beispiel im apodiktischen Diskussionsstil , der den eigenen Standpunkt mit besonders forscher Entschlossenheit vorbringt und als einzig möglichen gelten lässt: «Jeder vernünftige Mensch wird einsehen, dass …» – der apodiktische Stil (und der damit einhergehende Dogmatismus) erweist sich somit nicht als eine bloße Unart, die man sich «abgewöhnen sollte», sondern als psychodynamisch notwendige innere Überzeugungsarbeit , durch die der andere Teil in mir selbst zum Schweigen gebracht wird. Je stärker die eigene (nicht ausgehaltene) Ambivalenz, umso stärker der missionarische Impuls.
5. Diese zur Abdrängung nötige Energie zeigt sich aber auch in der Verteufelung des Meinungsgegners . Wird die abgedrängte Hälfte im Standpunkt des anderen entdeckt, bietet sich die Gelegenheit, den inneren Kriegsschauplatz nach draußen zu verlagern und dort in aggressiv-entwertender Art zu bekämpfen. Dies mag z.T. die rüde Gehässigkeit in der politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien erklären.
6. Wie aber kommt es zum Elend der politischen Auseinandersetzung innerhalb der Parteien, zu der aggressiven, zynischen, verächtlichen und anklagenden Art, mit dem Meinungsgegner umzugehen, sodass «die politische Diskussion zum Austragungsort von verletzten Gefühlen verkommt und die inhaltliche Diskussion stagniert», wie Osbahr das vorgefunden hat? Innerparteilich verläuft die Ambivalenzspaltung überwiegend gleichsinnig . Aber gerade darin scheint ein verschärfendes Moment zu liegen. Denn wenn ich nun beim anderen Spurenelemente jener verbotenen Hälfte entdecke, die unserer gemeinsamen Identität zuwiderläuft, dann ist dieser «Verrat» am eigenen Wertekodex besonders empörend. Der «Entlarvte» und Angegriffene reagiert zumindest unterschwellig mit Schuldgefühlen, denn wenn das stimmen würde, was man ihm vorwirft, wäre das ja auch nach dem eigenen Verständnis schändlich. Umso erboster wird er sich zur Wehr setzen, umso detektivischer nun auch seinerseits beim anderen entdecken, dass dieser
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