Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

komplementär.
    Der komplementäre Kreislauf ist uns durch den Beitrag des selbstlosen Stiles schon bekannt, er muss hier nicht noch einmal entfaltet werden (s. S. 117f.). Im Rahmen der systemischen Sichtweise lohnt es sich immer zu schauen, in welcher Weise auch das unterlegene Opfer auf eine leise Art «die schwarzen Tasten des Klaviers spielt», das heißt dem feindseligen Bezichtiger auf unterschwellige Art zu verstehen gibt, nicht ganz in Ordnung zu sein – Grund genug wäre schließlich vorhanden, und eine still und duldend vor sich hergetragene Verachtung ist nicht minder mitteilsam als ein lautes Schmähen.
    Beim symmetrischen [15] Teufelskreis beruht die Herabsetzung und Beschuldigung auf Gegenseitigkeit, es kommt in der Regel zur «Eskalation der Gewalt», wobei der Übergang von der kommunikativen zur tätlichen Verletzung fließend werden kann:

    Auch hier ist die für Teufelskreise typische Erscheinung gegeben, dass beide Kontrahenten den jeweils anderen als Aggressor betrachten und sich selbst als denjenigen, der sich schließlich nicht alles gefallen lassen kann und sich seiner Haut wehrt. Die Parallele zum «Nach»-Rüstungsgebaren der Supermächte Anfang der achtziger Jahre ist eklatant. Bleiben wir hier aber auf der Ebene der Beziehung zweier Individuen. Angesichts der verheerenden Folgen ihrer gegenseitigen Beschuldigungen und Verletzungen möchte man den beiden zurufen: «Nun vertragt euch doch! Müsst ihr denn immer so streiten!?» – und vergisst dabei leicht die Frage, was die beiden denn davon haben! Oder können sie einfach nicht anders, weil ihnen halt der Schnabel wie ein Hackebeil gewachsen ist, und brauchten ein Verhaltenstraining in milder und einfühlsamer Gesprächsführung? Vielleicht auch das, doch ihr nimmermüder Kampfgeist und das zähe Aneinanderhängen weisen eher darauf hin, dass sich die beiden «gesucht und gefunden» haben, um sich aneinander abzuarbeiten und ihre seelischen Geschäfte zu erledigen. Psychoanalytiker machen sich aufgrund von Zusammenhangsbeobachtungen zwischen gegenwärtiger Konfliktstruktur und alten Grundbeziehungen folgenden Reim darauf: Der Partner wird danach «ausgesucht», ob er von seinen Eigenarten her geeignet scheint, einen alten, nicht erledigten Kampf (zum Beispiel mit Vater, Mutter, Geschwistern) wieder aufleben zu lassen («Wiederholungszwang»), in der geheimen Hoffnung, ein heilsameres Ende herbeizuführen, als dies mit dem Ur-Kampfpartner möglich war. So sind die Herabsetzungen und Beschuldigungen, die einem der andere zukommen lässt, gleichsam der seelische «Stoff», auf den man nur gewartet hat und nach dem man nahezu ein wenig süchtig ist – um nun endlich damit selbstbehauptend fertig zu werden und sich für vergangene Niederlagen oder vielleicht stumm erlittene Qualen zu entschädigen. Da der Partner mit einem ähnlichen «Arbeitsprogramm» die Bühne betritt, geraten beide schnell aneinander – und können voneinander nicht lassen. – Dies ist auch für neutrale Dritte wichtig zu wissen, die sich wahrscheinlich bemühen werden, bei den aufkommenden Streitigkeiten schlichtend einzugreifen und so wenig Erfolg und Dank dabei ernten, ja manchmal selbst noch etwas von jenen Spänen abbekommen, die dort fallen, wo gehobelt wird. Da das erwähnte «Arbeitsprogramm» meist mehr neue Wunden schlägt als alte heilt, gereicht es beiden letztlich nicht zum Heil. Wichtig ist, den geheimen Sinn eines solchen Teufelskreises zu durchschauen (und zu durchfühlen), bevor man nach Alternativen sucht.
    4.3
    Richtungen der Persönlichkeitsentwicklung
    Konfrontation und Rehabilitierung der Du-Botschaft. Bevor wir nun die Kompassnadel der Persönlichkeitsentwicklung einstellen, wollen wir zunächst wieder den Blick schärfen für das «kostbare Gut», das in dieser wie in jeder Strömung enthalten ist. Zweifellos liegt ihre Chance in der Konfliktbereitschaft und in der Fähigkeit zur direkten Konfrontation, überhaupt in dem wachen Auge für all das, was einem die Mitmenschen antun und zumuten, mit ihrer Gedankenlosigkeit und Dickfelligkeit, Borniertheit und Unanständigkeit! Empörung und Misstrauen, verbunden mit der Fähigkeit, sich nicht alles bieten zu lassen und die «Zähne zu zeigen», sind hier zuweilen eher am Platze als die beim Selbst-losen so starke Neigung, alles gleich zu verstehen, zu verzeihen und damit auch zu verharmlosen. Kann nicht manchmal, eine tragfähige Beziehung vorausgesetzt, ein entrüstetes Donnerwetter, bei dem die