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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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der aggressiv-entwertenden Strömung sind wir in Gefahr, dem anderen mit der «negativen Lupe» zu begegnen:

    Abb. 29:
    Die Negativlupe: Tendenz, Nachteile und Fehler des anderen übermäßig wahrzunehmen
    Die an sich positive Fähigkeit zur Kritik missrät auf diese Weise zur notorischen Herabsetzung, Degradierung und Belehrung. Vorgesetzte, Eltern und Pädagogen kommen einem zuweilen vor wie jener Mensch, der einen Liebesbrief erhält und darin sogleich einen Kommafehler entdeckt. Wir sehen daraus, dass die entwertende Tendenz nicht erst im Verhalten wirksam wird, sondern bereits in den Augen «eingebaut» ist! Was hier fehlt, ist die Fähigkeit, Wert und Leistung auch bei solchen Personen zu sehen, zu empfinden und u.U. auszudrücken, die vielleicht schon in das Schubfach «Sorgenkind» oder «schwarzes Schaf» geraten sind. Ich habe Vorgesetzte erlebt, die nur noch kopfschüttelnd und missbilligend vor ihren Mitarbeitern stehen, das Fehlende vermissend und ohne innere Möglichkeit, das Vorhandene überhaupt zu sehen, geschweige denn zu würdigen.

    In solchen Fällen reicht es nicht, wenn in einer Fortbildungsveranstaltung die gutgemeinte Empfehlung gereicht wird «Spenden Sie Ihren Mitarbeitern hin und wieder ein Lob!». Dies kann so lange nur zu leeren Motivationsfloskeln und zur «Verabreichung von Streicheleinheiten» führen, wie der Vorgesetzte sich nicht wirklich mit den Stärken und positiven Haltungen eines Mitarbeiters auseinander gesetzt hat! Eine solche «Würdigungsarbeit» ist nicht leicht, besonders wenn einem nur die Negativlupe als geläufiges Werkzeug zur Verfügung steht. Sie ist aber aus zwei Gründen unerlässlich: Erstens, weil diese Würdigungsarbeit auch eine Rückwirkung auf einen selbst hat – und zweitens, weil die ausgesprochene Anerkennung nun substanziell statt floskelhaft ausfallen kann und dadurch sowohl an Glaubwürdigkeit als auch an Informationswert gewinnt. «Substanziell» ist eine Anerkennung dann zu nennen, wenn sie konkret (statt global) ausfällt, mit Beispielen verbunden ist und die Eigenart des Angesprochenen herausarbeitet, sodass er sich wirklich wahrgenommen und gemeint fühlt.
Übung:
Haben Sie eine(n) Mitarbeiter(in) Chef(in), Kind, Schüler(in), Partner(in), Kollegen/in …, von dem/der Sie den Eindruck gewonnen haben, dass er (sie) nicht viel taugt? Bitte nehmen Sie sich einmal Zeit, alle positiven Eigenschaften, Leistungen und Verdienste dieses Menschen aufzuschreiben – so als ob Sie sich auf eine «Laudatio» (Lobeshymne) vorbereiten würden. Sollte Ihnen dazu «nicht recht etwas einfallen», nehmen Sie dies probehalber als Zeichen Ihrer Einäugigkeit und begeben Sie sich in der nächsten Zeit auf eine kleine Entdeckungsreise!
Haben Sie Ihre Liste voll? Dann überprüfen Sie, welche Punkte Sie dem Betreffenden schon einmal gesagt (oder zu spüren gegeben) haben! Nur wenige? Gar keine? Vielleicht ergibt sich dazu die Gelegenheit?
Aber nicht zugleich mit der Anerkennung wieder eine Entwertung verbinden, nach dem Muster: «Du bist zwar faul wie die Sünde, aber dann und wann bequemst du dich dazu, wenigstens das Nötigste der Hausaufgaben zu machen!»
    Die Kunst der positiven Umdeutung. Bis jetzt haben wir dem Aggressiv-Entwertenden anempfohlen, nicht nur negative Aspekte der Mitmenschen lupenrein zu sehen, sondern daneben auch die positiven Merkmale zu entdecken und «herauszuarbeiten». An dieser Stelle können wir noch einen Schritt weitergehen. Häufig lässt sich auch das Negative selbst «mit anderen Augen sehen», das heißt unter verändertem Bezugsrahmen als etwas Positives umdeuten. Diese «Zauberei» stammt aus den Werkstätten der Familientherapie (zum Beispiel Watzlawick, 1974), ist aber gelegentlich auch für den täglichen mitmenschlichen Umgang von Bedeutung und überaus tauglich, die eigene Engstirnigkeit zu erweitern und sich selbst als teilweisen Konstrukteur der Wirklichkeit, die einem widerfährt, in den Blick zu bekommen.
    Wie sieht diese «Kunst der positiven Umdeutung» aus? Aus meiner Berufspraxis der Erwachsenenbildung kommen mir einige Beispiele in den Sinn. Für die meisten Trainer sind jene Teilnehmer ein rotes Tuch, die auf das Lehrangebot geringschätzig und besserwisserisch reagieren («In der Theorie gut und schön, aber in der Praxis sieht das doch ein wenig anders aus, junger Freund!»). Innerhalb eines bestimmten Vorstellungsrahmens ist dieses Verhalten für den Leiter eine Kränkung und eine ärgerliche Störung. Innerhalb

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