Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
ohne gelegentliches «Du bist schuld!» und «Es ist wirklich furchtbar mit dir!» Eine Kommunikationspsychologie, die das Schimpfen und Klagen, Nörgeln und Jammern, Beschuldigen und Polemisieren ganz abschaffen wollte, würde ihren gelehrigen Musterschülern einen Sonntagsanzug verpassen, unter dem noch der alte Adam vernehmlich knurrt, und somit zu einer eigenartigen Schönheitskonkurrenz aufrufen.
Fassen wir zusammen: Die Humanistische Kommunikationspsychologie, die bei zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und Feindseligkeiten eine intrazeptive (das heißt in sich selbst hineinhorchende) Einstellung nahelegt, neigt dazu, in ihren Verhaltensempfehlungen einseitig auf den Ausdruck der eigenen Innenwelt Wert zu legen. Indem sie dabei zuweilen aggressive Äußerungen als unreif verpönt, ist sie in Gefahr, einer «neuen Sittsamkeit» Vorschub zu leisten. Bevor die Partner noch richtig aneinandergeraten, legen sie einen kommunikativen Schongang ein, bei dem man zwar die psychologischen Glocken läuten hört, aber doch auch viel Ärger verschluckt und konserviert. Diese einseitige Ausrichtung ist besonders für solche Menschen nicht entwicklungsfördernd, die von Haus aus eher intrapunitiv, aggressionsgehemmt, depressiv und harmoniesüchtig (im Gegensatz zu streitsüchtig) sind; für sie ist die zornige Du-Botschaft eine wesentliche Bereicherung ihrer Verhaltensmöglichkeiten, sie müssen (wieder) lernen zu schimpfen.
Wir haben einen längeren Gedankengang zurückgelegt. Dieses schien mir nötig, um zu verdeutlichen, dass jene Stilelemente, die durch ihre kränkende Wirkung die Kommunikation hässlich machen, nicht samt und sonders auf den Müllhaufen der Pathologie gehören. Indem sie Gegensätze deutlich und aggressive Gefühle greifbar machen, enthalten sie wichtige «Vitamine» für die zwischenmenschliche Beziehung. Freilich gibt es Menschen, die sich ihre aggressiven Anteile nicht erst erschließen müssen, sondern bereits über des Guten zu viel verfügen und ihre Kontakte überwiegend mit anklagendem Tenor gestalten. Wir bestimmen ihre Entwicklungsrichtungen, indem wir das grundlegende Wertequadrat von Akzeptierung und Konfrontation (s. S.54) noch etwas ausdifferenzieren:
Respekt und Selbstachtung. Den Pauker, der seine Schüler einschüchtert und lächerlich macht, der sie mit dem Rotstift verfolgt und kein gutes Haar an ihnen lässt – ihn gibt es nicht nur als belletristische Karikatur. Ende der sechziger Jahre waren wir als antiautoritär eingestellte Erziehungspsychologen ausgezogen, um mit Lehrern ein neues Verhalten zu «trainieren»: Sie sollten lernen, ihre Schüler respektvoll, höflich und wertschätzend anzusprechen, auch und gerade in Konfliktsituationen. Was theoretisch gut gemeint war, führte in der Praxis des Klassenzimmers nicht selten zu einem Fiasko: Die Schüler, den festen Griff und den derben Ton gewohnt, legten diese «Samtpfötchen-Pädagogik» dem Lehrer als schwächliche Anbiederei aus, gingen über Tische und Bänke, verhöhnten ihn und benahmen sich zum Teil wie die sprichwörtlichen erstmals losgebundenen Kettenhunde.
Hätten wir als «Trainer» damals die Struktur des Werte- und Entwicklungsquadrates schon im Kopf gehabt, wäre uns wahrscheinlich nicht entgangen, dass einige, besonders junge Lehrer(innen) neben der Fähigkeit, Respekt zu erweisen , zunächst einmal vordringlich die Fähigkeit, sich selbst Respekt zu verschaffen , gebraucht hätten! Die zur Aufrechterhaltung der nötigen Selbstachtung erforderliche Durchsetzungsfähigkeit wäre im ersten Schritt dringlicher zu trainieren gewesen als der verbale Ausdruck von Achtung gegenüber den Schülern:
Ohne die Fähigkeit nämlich, sich Respekt zu verschaffen, kann ein wertschätzendes Beziehungsangebot nur als schwächliche Anbiederung aufgefasst werden, jedenfalls in einem so antagonistischen Kontext wie der Schule. Nicht selten mögen sich die gebeutelten Lehrer veranlasst gesehen haben, die «Notbremse» zu ziehen und – überkompensatorisch – von unten rechts nach unten links umzuschwenken. Die hinter der arroganten Einschüchterung regelmäßig anzutreffende Angst, in Unterlegenheit zu geraten (Grundangst der aggressiv-entwertenden Strömung, vgl. S.139), verweist auf die Notwendigkeit, ein Training im «wertschätzenden» Verhalten mit einer Stärkung des Selbstwertgefühles und der eigenen Durchsetzungsfähigkeit zu verbinden.
Konfrontation und Anerkennung. Eine ähnliche Polarität: Unter dem Einfluss
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