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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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des Vorstellungsrahmens nämlich: Ich (Leiter) biete dir (Teilnehmer) das Gelbe vom Ei, das du voller Dankbarkeit und mit dem Gefühl der Bereicherung in dich aufnehmen solltest (und wenn es so kommt, war es ein schönes Seminar!)! Definiere ich die Situation (und damit auch die Beziehung) ein wenig anders, kann dasselbe «querulantische» Verhalten zu einem hochwillkommenen konstruktiven Beitrag werden. Begreife ich das Seminar als Ort der Begegnung von Theorie und Praxis, definiere mich selbst als Experten für Theorie (und für Prozessgestaltung im Seminar) – die Teilnehmer hingegen als Experten ihrer Praxis; gehe ich weiter davon aus, dass durch den Dialog beider Expertentypen die Hoffnung besteht, etwas schlauer zu werden, als jeder für sich allein wäre, dann kann der Satz «Die Praxis sieht anders aus!» die Einleitung für eine Praxis-Expertise werden – ich muss sie nur als solche willkommen heißen. (Und den «jungen Freund» lasse ich an dieser Stelle durchgehen; immerhin bin ich selbst in der Rolle des Oberlehrers in Gefahr gewesen, den Teilnehmer etwas in die Schulbank hineinzudrücken, aus welcher er sich jetzt mit einem symmetrischen Manöver wieder befreit.) Selbst wenn der Teilnehmer meine Einladung verweigert, lässt sich die dann zweifellos vorhandene Störung, anstatt sie als bloß lästig und peinlich zu empfinden, wiederum positiv umdeuten: Ist eine solche Störung nicht vorzüglich geeignet, dem Thema des Seminars ein konkretes Erlebnisbeispiel zu geben (zum Beispiel wenn das Thema lautet «Mitarbeiterführung» oder «Kommunikation – Konflikt – Konsens»)? Können es nicht didaktische Sternstunden sein, wenn der Lehrplan und das Geschehen in der Lerngruppe sich plötzlich unplanbar berühren? Und braucht es nicht dafür gerade solche Teilnehmer, die nicht nur zustimmend und «pflegeleicht» sind?
    Positive Umdeutung ist manchmal auch am Platze, wenn Teilnehmer sich angiften und aggressiv aufeinander losgehen. Ich persönlich habe dies überhaupt nicht gerne. Es hilft mir aber, aus meiner inneren Lähmung herauszukommen, wenn ich mir sage: «Was jetzt passiert, ist zwar nicht ‹schön›, aber doch gegenüber der höflich-oberflächlichen Art von gestern ein wichtiger Schritt in Richtung Beziehungswahrheit, und eine Chance, der ‹Friedhöflichkeit› zu entkommen. Offenbar ist das Vertrauen heute groß genug, um Gegensätze auszutragen und negativen Gefühlen Raum zu geben! Immerhin gibt es doch ein plausibles Gruppen-Entwicklungs-Modell (Tuckmann, nach Argyle, 1972, S.215), wonach eine Gruppe, bevor sie wirklich arbeitsfähig ist, erst noch drei Stadien zu durchlaufen hat:
    – Forming (Zueinanderfinden),
    – Storming (Aneinandergeraten),
    – Norming (sich auf Regeln einigen) – und erst dann:
    – Performing (etwas gemeinsam zustandebringen).
    Sei also froh, dass das «Storming» jetzt offenbar seine Stunde hat, und interveniere nicht allzu friedhöflich: Mit einem Wort: Was jetzt passiert, ist zwar nicht angenehm, aber gut!»

    Dennoch ist hier auch eine Warnung nötig. Eine Einübung in die Kunst der positiven Umdeutung haben wir in diesem Kontext für Menschen empfohlen, die von Haus aus leicht in eine aggressiv-entwertende Strömung hineingeraten und die Negativ-Lupe zum bevorzugten Instrument der zwischenmenschlichen Kontaktgestaltung entwickelt haben. Für sie ist die positive Umdeutung eine Erweiterung und ein wichtiges Lernziel. Sie ist aber kein Allheilmittel für jedefrau und jedermann! Man kann sie auch benutzen, um sich selbst in die Tasche zu lügen, wenn man das Leid und Elend nicht sehen und spüren will, das einen umgibt oder das man in sich trägt. Die Wirklichkeit ist nicht beliebig konstruierbar, nicht aus jedem Dreck lässt sich Gold zaubern: So versuchte ein Vater, seinem kleinen Sohn die Scheidung der Eltern dadurch schmackhaft zu machen, dass er ihm den «Gewinn» vorhielt: Das sei doch das Schöne an der ganzen Sache, dass er nun über zwei Kinderzimmer verfüge, eines zu Hause bei Mutter und eines zu Besuch bei Vater – und er kommentierte mir gegenüber seine vom Geist des «positiven Denkens» geprägte Strategie: die Gefühle des Menschen folgten nicht den Ereignissen als solchen, sondern den Gedanken und Interpretationen, mit denen wir auf diese Ereignisse reagierten; indem wir auf diese bewussten Einfluss nähmen, bekämen wir auch jene in den Griff. – Dies ist übrigens auch der Grundgedanke einer bestimmten Therapierichtung: Der

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