Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
werden, die einzuhalten er selbst sich doch immer so bemüht hat, wenn auch auf Kosten von Lebensfreude, Spontaneität und Gefühlsintensität.
Folgendes mag hinzukommen oder sogar ausschlaggebend sein: Wenn der Kontrollierende sich nach Kontakt sehnt, sein Partner aber (wie im Beispiel die Tochter) sich von ihm innerlich entfernt, dann kann er angesichts der empfundenen Kränkung seinen Kontaktwunsch nur durch sein «Hausmittel» zur Geltung bringen – und das ist nun einmal das Reglementieren und Bevormunden. Tragischerweise ist dadurch die Botschaft «ich möchte mehr Kontakt zu dir» bis zur Unkenntlichkeit verdeckt. Der/die andere soll es auch gar nicht hören, denn das hieße ja, die eigene Bedürftigkeit spüren zu müssen und so einen kleinen Teil an Selbstkontrolle aufzugeben. Damit geriete aber das ganze System ins Wanken.
6.2
Der systemische Blickwinkel
In den Partnern eines Menschen, in dem die bestimmende Strömung dominiert, entsteht typischerweise ein zwiespältiges Gefühl von Erleichterung und Empörung. Je nachdem, welcher Anteil dieser Ambivalenz die Oberhand gewinnt, entstehen zwei verschiedene Kreisläufe, die wir uns nun der Reihe nach anschauen wollen. Dabei ist allerdings im Blick zu behalten, dass beide Kreisläufe in Form offener und verdeckter Teile gleichzeitig existieren können.
Großmeister und Musterschüler. Auf der einen Seite bietet der Bestimmende seinen Mitmenschen durch seine Bestimmtheit und Verlässlichkeit einen gewissen Halt. Wer im Land der Grautöne wandelt, ist manchmal dankbar, wenn jemand klare Vorstellungen von Schwarz und Weiß hat. Kinder und Jugendliche bedürfen einer solchen Führung als leitende Orientierung ebenso wie um sich daran zu reiben und abzugrenzen. Und auch für den Erwachsenen kann es herrlich entlastend sein, wenn jemand ihm oder ihr sagt, was zu tun ist! Besonders unter dem Einfluss der bedürftig-abhängigen (Kap. III, 1) und der selbst-losen Strömung (III, 3) sprechen wir gerne «Einladungen» an unsere Partner aus, die bestimmende Haltung einzunehmen:
– «Wie soll ich denn das jetzt machen?» (bedürftig-abhängiger Stil),
– «Sag, wie du mich haben willst!» (selbst-loser Stil).
Der anti -antiautoritäre Witz aus dem Schulbereich verweist auf diesen menschlichen Zug, indem er die Schüler fragen lässt:
«Dürfen wir heute tun, was wir sollen – oder müssen wir wieder tun, was wir wollen?»
Ebenso Erwachsene:
«Bei den meisten Gruppen habe ich bemerkt, dass sie zu Beginn ihrer Arbeit nach einem ‹Vater› suchen: Man hält Ausschau nach der Person, der man Kompetenz und Führungsqualitäten zuschreibt und die deshalb Sicherheit und Geborgenheit bieten kann. Zu diesem Zweck wird einfach eine Person in der Gruppe ‹ausgeguckt›, von der man einige dieser Qualitäten erwartet. Die Schüler hoffen, dass der Lehrer sagt, was getan werden soll; die Bürgergruppe erwartet vom Sozialarbeiter konkrete Handlungsanweisungen; in der Volkshochschule starren alle auf den Dozenten in der Erwartung, dass er endlich anfängt und sagt, ‹wo es langgeht›, und in der Hochschule ist jedes Seminar zunächst auf die Person des Lehrenden zentriert.» (Hinte, 1986, S.131).
Dieser bedürftig-abhängige Wind, der dem Leiter, (Hochschul-)Lehrer, Trainer entgegenschlägt, enthält für ihn eine große Versuchung: Das Machtgefühl zu genießen, wenn alle «nach der eigenen Pfeife tanzen». Macht er sich dies nicht bewusst, wird er die Situation wieder und wieder so gestalten, dass er seine Allmacht feiern und die Abhängigkeit der Teilnehmer verewigen kann. In Verbindung mit der sich beweisenden Strömung beginnt hier eine kleine Guru-Karriere. Und Achtung! Drogen machen abhängig, und die Dosis muss gesteigert werden, um noch dieselbe Wirkung zu erzielen. Unbewusst wird er bedürftig-abhängige Regungen seiner Teilnehmer mit wohlwollender Zuwendung verstärken, wird ihnen ein Lächeln schenken, wenn sie in gläubigem Staunen seine «Sätze von bleibendem Wert» mitschreiben. Dieser zwischenmenschliche Kreislauf ist einer emanzipatorischen (Erwachsenen-)Pädagogik entgegengesetzt, er erzeugt eine Polarisierung in Großmeister und Musterschüler:
Strenge Eltern und chaotisch-rebellierende Jugend. Die andere Hälfte der Ambivalenz (Empörung) gewinnt beim Partner in dem Maße die Oberhand, wie er den Wunsch nach Freiheit und Entfaltung in sich zu spüren und die Marionettenfäden als Fessel zu empfinden beginnt. Der entstehende Teufelskreis lässt
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