Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
wird nur jeweils die eine Seite gelebt, die andere dem Partner überlassen: So polarisieren sich die Gegensätze, in der Beziehung entsteht eine Art komplementärer seelischer Arbeitsteilung. Die «Mechanik» dieses Zusammenspiels sei (in Anlehnung an Scheller, 1986) an folgendem Schaubild veranschaulicht.
Abb. 38
Mechanisches Vorstellungsmodell von Anziehung und Abstoßung bei einem Nähepartner N und einem Distanzpartner D, s. Text
Beide Partner N und D verfügen über ein «Bindeseil» und einen abstandsichernden «Puffer» – angenommen aber, das Band und der Puffer von D wären nur um weniges länger. Was passiert?
Das straff gespannte Seil von N lässt ihn seine «Bindung» fühlen; sein Abstandspuffer schlägt gegenüber (noch) nicht an, deshalb spürt er keinen Distanzbedarf. Dafür berührt ihn umso mehr das Weggeschobenwerden an der eigenen Brust. Ganz anders, nämlich gegenteilig, die Gefühlskonstellation bei D: An seinem Haken spürt er, wie der andere an ihm zieht. Gleichzeitig schlägt gegenüber sein Puffer an und signalisiert «Abstand halten!» – Eine eigene Bindung fühlt er nicht, denn sein Seil ist (noch) schlaff. Und ganz offenbar hat sein Partner überhaupt keine Distanzwünsche, jedenfalls ist kein Puffer zu spüren!
Das Gesamtbild ändert sich schlagartig, wenn das Band von N gerissen ist und N sich entfernt: Plötzlich schlägt das Seil von D an, und sein Puffer fährt ins Leere. In den Befragungen, die Scheller (1986) durchführte, war die Nähe-Distanz-Position eines Menschen häufig instabil und wechselnd, sowohl innerhalb ein und derselben Beziehung als auch in verschiedenen Beziehungen. Die jeweilige Position des Einzelnen ist somit auch das Ergebnis einer Beziehungsdynamik und keineswegs nur persönlichkeitsabhängig.
Schauen wir uns noch etwas genauer das dynamische Ineinandergreifen von Gefühlen und Verhaltensweisen an, das den Nähe-Distanz-Teufelskreis konstituiert und in Schwung hält. Bei den folgenden Zitaten ist sofort erkennbar, ob der Nähe- oder Distanz-Partner spricht; meist auch, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt (wo nicht, füge ich den Hinweis bei). Übrigens gab es in dieser Stichprobe (Männer und Frauen zwischen 25 und 35 Jahren) in nur schwachem Maße den erwarteten Zusammenhang zwischen dem Geschlecht und der Nähe-Distanz-Position (vgl. S. 230f.). Angesichts des häufigen «Rollenwechsels» in ein und derselben Beziehung wäre das auch kaum möglich gewesen.
Typischerweise fühlt sich der Distanzierende bedrängt und in seinem freien Selbstsein bedroht: Der andere will viel zu viel von ihm. Wie verhält er sich, um Abstand zu gewinnen? Im direkten Kontakt ist er «muffig» und wortkarg, innerlich abwesend oder gereizt, zudem «schwerhörig» für alles, was der andere an Gefühlen und Beziehungsthematik anbietet. Wenn man ihn nicht in Ruhe lässt, kann er sehr kaltherzig und «fies» werden:
«Im Zuge unserer Gespräche über uns hat er mir Sachen an den Kopf geschmissen, mich kritisiert und dermaßen in Frage gestellt, das ging wirklich an die Substanz.»
Insgesamt neigt er dazu, Kontakte von sich aus abzubrechen und zu reduzieren, «leider im Moment wenig Zeit» zu haben, da er sich verstärkt mit Arbeit und anderen Kontakt-«Verpflichtungen» eindeckt, «so daß er dann unheimlich viel um die Ohren hatte». Den Nähe-Wünschen des Partners setzt er ein «Ja, aber» entgegen: nicht so oft, nicht so lange, nicht so intensiv. Nach dem Rückzug kommt es oft zur Wiederannäherung:
«Dann haben wir uns langsam wieder angenähert, waren wieder ein, zwei Tage heiß und innig zusammen, und dann war wieder Ende.»
Dieser Abbruch («und dann war wieder Ende») kann auch mitten im Kontakt erfolgen, in Momenten von Vertrautheit und Innigkeit, wenn es gerade wirklich «schön zu werden droht»: Sehr plötzlich und abrupt, für den Nähe-Partner ganz aus heiterem Himmel, sorgt der Distanzierende, als ob er eine Notbremse ziehen müsste, für ein Umkippen der Stimmung – zum Beispiel durch eine verletzende Bemerkung oder durch einen ironischen oder sarkastischen Kommentar.
«Manchmal waren wir ganz eins – und dann, ganz plötzlich, Schranke zu.» (weibl.)
Der Nähe-Partner bleibt nicht nur in seinen Bedürfnissen unbefriedigt, fast immer hört er die «Botschaft» auch mit dem Beziehungs-Ohr und fühlt sich «alles was mit ‹ abge›… anfängt», wie eine Klientin sich ausdrückte: abge stellt, abge wiesen, abge lehnt. Zusammen mit dem
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