Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
…» – und nun füllen tausend Projektionen die leere Leinwand, die seine spärliche Selbstoffenbarung hinterlassen hat. Und wenn man ihm auch nicht mit offener Feindseligkeit begegnet (was auch vorkommen kann), so doch ein wenig böse und mit einer vorsichtigen Zurückhaltung, die verrät, dass man nicht allzu viel mit ihm zu tun haben möchte; zumindest würde man nie auf die Idee kommen, sich ihm anzuvertrauen.
Das alles zusammen oder Teile davon machen genau die Atmosphäre aus, die der Distanzierte nur allzu gut kennt und die ihm das Gefühl gibt, nicht ganz willkommen zu sein. Entsprechend unwohl fühlt er sich im Kontakt, kapselt sich misstrauisch ab, sucht und findet seine Geborgenheit im Schneckenhaus – eine seelische Karriere zum Eigenbrötler nimmt ihren Lauf.
Teufelskreis von Nähe und Distanz. Kommen wir nun zu jenem «klassischen» Kreislauf, den wohl mancher schon erlebt und durchlitten hat, der sich einmal auf eine enge Beziehung eingelassen hat: den höchst dynamischen und manchmal dramatischen Teufelskreis von Nähe und Distanz .
Beide Bedürfnisse sind im Menschen vorhanden: Im komplexen dynamischen Wechselspiel dieser Bedürfnispolarität entfaltet sich die zwischenmenschliche Beziehung – und nicht selten geht sie im Strudel dieser Gegensätzlichkeit zugrunde. Die Phase der Verliebtheit, der anfänglichen Faszination füreinander, ist geprägt vom Bedürfnis nach Nähe, der Distanzwunsch scheint zurückgedrängt. Dann aber meldet er sich, meist wird es einem der beiden Partner nach einer Weile «zu eng»: Er (sie) möchte nun gern einmal «für sich» sein, mit anderen Leuten Kontakt haben, einmal wieder im eigenen Bett schlafen, eine Weile den anderen nicht um sich haben – das ständige oder häufige «Aufeinanderhocken» macht nun ganz «kribbelig». Vielleicht drückt er das direkt aus, vielleicht behält er solche «ketzerischen» Gefühle noch eine Weile für sich, sei es, um den anderen nicht zu enttäuschen, sei es, um sich selbst die damit verbundene Ernüchterung nicht einzugestehen – jedenfalls merkt der Partner, dass der andere äußerlich oder innerlich «auf Distanz geht». Vielleicht wäre es bei ihm eine Sekunde später auch so weit gewesen, aber nun ist der andere zuvorgekommen und löst zumindest in Spurenelementen jene Angst vor dem Verlassenwerden aus, die bei einem «Nähemenschen» (mit starken Anteilen der bedürftig-abhängigen, der helfenden oder selbst-losen Strömung) ohnehin eingespurt ist.
«Zitat einer Frau (aus der Nähe-Position) [19] : «… Wir waren beide unheimlich verliebt und wollten beide sehr viel Nähe … Das ging dann zwei, drei Monate, dann kommt irgendwann ein Punkt, wo man anfängt, sich wieder für andere Sachen zu interessieren. Meistens fängt einer als erstes an, und das war in diesem Fall Ronald … Er hat sich zurückgezogen, aber ohne mir das mitzuteilen, … ich habe es nur gespürt. Er wendet sich ab von mir, ich weiß gar nicht warum. Hilfe!»
Bei diesem Partner bleibt der Wunsch nach Nähe erhalten und verstärkt sich sogar, denn sein (prinzipiell ebenfalls vorhandenes) Distanzbedürfnis «springt nicht an» – für Distanz hat der andere bereits gesorgt (befriedigte Bedürfnisse werden ja nicht gespürt, permanent befriedigte Bedürfnisse in ihrer Existenz nicht einmal erkannt). Seiner Angst und seinen Nähe-Wünschen entsprechend wird er sich nun um den anderen bemühen – und so kann ein Teufelskreis in Gang kommen. Der Distanzierte fühlt sich verfolgt und verschlungen, seine eingespurte Angst vor Abhängigkeit und Selbstverlust wird geweckt, lässt ihn flüchten und größeren Abstand nehmen. Nicht, dass er kein Bedürfnis nach Nähe hätte: Solange dies jedoch so intensiv von seinem Partner gelebt wird, wird er seine eigene Anhänglichkeit nicht spüren. Dies ändert sich schlagartig, wenn der Nähe-Partner, abgekämpft, zermürbt und in seinen Gefühlen erkaltet, seine «Nachstellungen» aufgibt und sich abwendet: Nun kann der Distanzierte seinen Gegenpol wieder spüren, und zwar übermächtig – und es geht in die nächste Runde, aber plötzlich mit vertauschten Rollen.
Halten wir fest: Was von außen den Eindruck macht, als hätten ein «Distanzierter» und ein «Anhänglicher» sich zusammengefunden, erweist sich bei näherem Hinsehen als Polarisierung einer gespaltenen Ambivalenz. Mit «gespaltener Ambivalenz» ist gemeint: Jeder hat beides in sich (Ambivalenz), anstatt aber die Gegensätze in sich zu vereinen,
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