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Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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sein. Im Regelfall ist der distanzierende Persönlichkeitsanteil für Männer typischer, weil die Frau ein anderes gruppendynamisches Frühschicksal hat: Da die erste Bindung an die Mutter der gegengeschlechtlichen Brisanz entbehrt, ist die Loslösung von ihr nicht so schmerzhaft und nicht so dringlich – sie kann sich «in aller Ruhe» vollziehen. Viel dringlicher und brisanter ist die Hinwendung zum Vater. Um von ihm, dem «großen Fernen», geliebt zu werden, muss das kleine Mädchen ihn für sich interessieren – und das heißt: den gegebenen Abstand (zunächst einmal) überwinden. Sicherlich wird die Loslösung von ihm auch noch zu einem wichtigen inneren Thema werden. Aber dies ist von späterer Bedeutung und auch angesichts der weiterhin sicheren Bindung an die Mutter viel weniger existenzbedrohlich erlebt als beim Jungen die Loslösung von der Mutter. Erstrangig bleibt im Seelenleben des Mädchens die Überwindung des Abstandes, das Schaffen von Nähe. Tatsächlich sind die Kommunikationsstile, die als typisch weiblich gelten, darauf aus,

auf sich aufmerksam zu machen (mitteilungsfreudig-dramatisierend, Kap. 8)
Nähe und Abhängigkeit zu fördern (bedürftig-abhängig, Kap. 1 bzw. selbst-los, Kap. 3).

    Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind also, so lässt sich zusammenfassend folgern, in vielfacher Weise determiniert und werden durch einen sich selbst stabilisierenden Kreislauf im Sinne zunehmender Polarisierung verschärft:

Unterschiedlich strukturiertes Frühschicksal in Bezug auf Abstand und Bindung
Daraus sich ergebende unterschiedliche Tendenzen bei Jungen und Mädchen werden durch eine am Geschlechtsrollen-Klischee orientierte Erziehung verstärkt und verfestigt
Abermalige Verfestigung durch gesellschaftlich geprägte Aufteilung der Lebenswelten. Je starrer diese Aufteilung ist, umso verschärfter gilt der Punkt

(siehe oben) – wenn der Vater wenig präsent und die Bedeutung der Mutter übermächtig wird.
    Damit hat sich der Kreislauf geschlossen. – Aber hier ist derzeit viel in Bewegung (vgl. S.294ff.), und mit etwas Optimismus gilt hier wie bei allen Persönlichkeitsstrukturen der Satz von Sartre: «Jeder kann jederzeit aus dem etwas machen, was aus einem gemacht wurde» (sinngemäß, zit. nach Hinte, 1980).
    Kommen wir nach diesem Exkurs zurück zu den Eigenarten des distanzierten Menschen.

    Seine große Angst vor Abhängigkeit , die ihn so unnahbar erscheinen lässt, befähigt ihn aber auch, für sich allein zu sorgen, niemandem etwas schuldig zu bleiben oder zu Dank verpflichtet zu sein. Sein bedürftig-abhängiges Flussbett ist gleichsam ausgetrocknet, da starke Dämme diese Strömung aufhalten. Da sich hier etwas staut, kommt die Angst vor einem Dammbruch und vor den gewaltigen Fluten hinzu, die dann über ihn hereinbrechen würden – Grund genug, die Dämme katastrophensicher auszubauen. Angst und Sehnsucht sind siamesische Zwillinge: Der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit, nach Innigkeit und liebevollem Miteinander ist stark, aber die Angst davor noch stärker, sodass in der zwischenmenschlichen Begegnung die Sperre erhalten bleibt. Ungeübt im Nahkontakt, wirkt der Distanzierte oft gehemmt und unbeholfen, gleicht dabei einer Schnecke, die ihre sensiblen Kontaktfühler bei leisester Berührung sogleich einzieht und sich dem Kontakt durch «Rückzug in das Schneckenhaus» entzieht.
    Im Hotel oder Krankenhaus bewirbt er sich um die wenigen Einzelzimmer, Einladungen schlägt er gerne aus – und wenn er in der Ferne einen Bekannten sichtet, wechselt er schon mal vorsorglich die Straßenseite, um sich die unerfreuliche Anstrengung zu ersparen, die ihm jeder Kontakt abverlangt. Die seelische Erholung liegt für ihn im ungestörten Alleinsein: Erst wenn er hier ausreichend Zeit zum «Auftanken» hat, kann eine gewisse Kontaktfreudigkeit aufkommen, kann er sich auch einmal auf jemanden freuen, den er lange entbehren musste. Die Erfüllung aber kann letztlich mit der Sehnsucht nicht mithalten.
    Und wenn auch über lange Strecken ein durchaus freundlicher Zeitgenosse, so kann er doch auch widerborstig, «muffig», abweisend und verletzend werden, wenn man ihm zu nahe auf den Pelz rückt. Wenn der Partner oder die Partnerin ihm mit zu großer Anhänglichkeit begegnet, reagiert er entweder schroff: «Nun lass mich doch erst einmal zur Ruhe kommen! Du wirst dich doch wohl noch eine Weile selbst sinnvoll beschäftigen können!» Oder aber, wenn er seine mangelnde Kontaktbereitschaft

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