Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)

Titel: Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
Vom Netzwerk:
nicht oder zu spät spürt (oder meint, er «sollte» jetzt auch einmal für den anderen da sein), dann lässt er sich zwar auf das Gespräch ein, bleibt dabei aber teilnahmslos, mechanisch und innerlich abwesend. Auf diese Weise erreicht er es, im Kontakt die für ihn nötige Distanz herzustellen. Sollte sein Gesprächspartner, indem er dies bemerkt, auf die Idee kommen, der Sache auf den Grund zu gehen («Was ist mit dir? Wo bist du? Woran denkst du gerade?»), so wird der Distanzierte im milden Fall mürrisch und hilflos, im Normalfall gereizt und aggressiv reagieren: Was nützt es denn, derart in einem «herumzubohren»? Weiß er doch selbst nicht, was in ihm vorgeht – und wenn er es wüsste: Es geht schließlich niemanden etwas an. Die Aggression, zu der der Distanzierte durchaus fähig ist, dient in erster Linie dem Grenzschutz – «Wenn man meine Distanz durchbricht, kommt Hass auf!», brachte ein Patient von Riemann (1969, S.33) diesen Aspekt auf den Punkt.
    Zuweilen jedoch kann die Aggression, worauf ebenfalls Riemann hinweist, auch ein Kontaktmittel, ein Annäherungsversuch sein. Wenn ich jemanden gern habe oder zumindest an ihm interessiert bin, aber zu scheu und zu verletzlich, um mich mit diesem Wunsch zu zeigen und das Risiko einer Ablehnung zu tragen, dann kann ich auf die Strategie verfallen, den Kontakt herzustellen und durch eine ruppige Art den damit verbundenen Wunsch zu tarnen. Zwar provoziere ich damit Ablehnung, aber sie kann mich nicht (so stark) treffen, da ich es ja selbst darauf angelegt habe und an meiner weichen, berührbaren Stelle gut gewappnet bleibe. – Und ist eine boshafte Aggression nicht der «beste» Test, das wirkliche Wohlwollen des anderen auf die Probe zu stellen? Wie viele «Unflätigkeiten» von Kindern mögen ein heimliches, schüchternes Liebeswerben sein? Wie viel Mal werden wir als Pädagogen – befangen in unserer eigenen Empfindlichkeit – es versäumen, die «ganze Botschaft» zu hören? – Halten wir fest, dass der sich Distanzierende auch dann, wenn er auf jemanden zugeht, einen Sicherheitspuffer «einzubauen» sucht, sodass der Angesprochene den Kontaktfühler leicht übersehen kann.
    7.2
    Der systemische Blickwinkel
    Mit den letzten Überlegungen haben wir uns schon den zwischenmenschlichen Verwicklungen genähert, in die der Distanzierende leicht gerät, genauer: an deren Entstehen er durch seine Art der Kontaktgestaltung beteiligt ist. Zwei typische Kreisläufe sind zu unterscheiden – der eine, der ihn teufelskreisartig von den Menschen immer mehr abrücken lässt, und der andere, der eine oft dramatische Beziehungsdynamik von Nähe und Distanz in Gang setzt.

    Bei der verbalen Beschreibung von Kreisläufen ist man gezwungen, an irgendeiner Stelle anzufangen und damit genau gegen das Denkmodell zu verstoßen, das man gerade im Sinne hat: Setzt die reservierte und leicht abweisende Art des Distanzierten den Kreislauf in Gang, von dem nun zu berichten ist? Oder ist diese Art bereits eine Reaktion auf die mitmenschliche Behandlung, die ihm zuteil wird – vielleicht da er ein wenig «anders» ist als die meisten? Dieses «Anderssein» gehört zu seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten: zu sich selbst zu stehen, ohne die persönlichen Eigenarten etwa um der Harmonie und Zugehörigkeit willen einzuebnen. Wie dem auch sei, jedenfalls fühlen sich viele von ihm arrogant behandelt und verprellt, wenn er sie so auf Abstand hält und zum Teil auf verletzende Weise abweist, ihnen demonstriert, dass er auf sie nicht angewiesen ist und mit sich allein gut klarkommt. Nicht selten reicht es schon, wenn sie von ihm die abgrenzende Botschaft vernehmen: «Ich bin nicht so wie du/ihr!», um sich ein wenig beleidigt zu fühlen; denn die Einsicht, dass menschliche Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln nebeneinander Bestand haben, ist in so manches Herz noch längst nicht gedrungen. An dieser Stelle scheiden sich jedenfalls die Geister, und entsprechend werden zwei Kreisläufe zu unterscheiden sein. Während die einen «jetzt gerade!», ihren Liebesmotor anspringen fühlen und auf Eroberungskurs gehen (darüber dann später), stellen die anderen Mitmenschen ihre Quittung aus: «Wenn das so ist – bitte schön! So muss ich mich nicht behandeln lassen!» – und wenden sich äußerlich ab, während sie sich innerlich noch mit ihm beschäftigen: «Was mag das für ein Mensch sein, der so wenig von sich zeigt – was mag in ihm vorgehen? Wahrscheinlich ein Sonderling, der

Weitere Kostenlose Bücher