Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
diagnostisch als empathisch eingestellt. Worin liegt der Unterschied? Die empathische Empfangsweise ist vom Bemühen gekennzeichnet, die subjektive Erlebensweise des anderen zu erspüren und nachzuvollziehen. Die damit verbundene Identifikation schafft viel Nähe – und setzt die Bereitschaft voraus, sich auf den anderen als Menschen einzulassen. Die diagnostische Empfangsweise hingegen etabliert eine Subjekt-Objekt-Beziehung: Der andere wird objektivierend von außen betrachtet und beurteilt, nicht selten messerscharf analysiert und detektivisch entlarvt. Dadurch gelingt es dem Distanzierten, sich den Mitmenschen innerlich vom Leibe zu halten. Medizinische, psychologische und psychiatrische Diagnose-Kategorien haben oft diesen geheimen Sinn. Der Name Carl Rogers steht für die radikale Abkehr von dieser Art Psychologie (Rogers und Rosenberg, 1980).
Das folgende Beispiel zeigt, wie sich die unterschiedliche Empfangs-Einstellung im Gespräch manifestiert. Nehmen wir noch einmal die Situation von S.228; der Ehemann kommt nach Hause, seine Frau berichtet von einer schlechten Klassenarbeit des Sohnes:
empathisch
Mann: Das klingt, als würdest du dir jetzt wirklich Sorgen machen.
Frau: Ja, ich überleg mir, was soll denn aus ihm werden, wenn er die Schule nicht schafft!? Man möchte sich doch auch später keine Vorwürfe machen.
Mann: Du bist davon überzeugt: Wie wir jetzt reagieren, davon hängt viel ab für seine Zukunft!?
diagnostisch
Mann: Irmgard, das ist wieder deine Überängstlichkeit: Wenn du keine Sorgen hast, dann machst du dir welche!
Frau: Ja, was soll denn aus ihm werden, wenn er die Schule nicht schafft!? Man möchte sich später doch auch keine Vorwürfe machen.
Mann: Irmgard, da zeigt sich wieder dein Mutter-Ehrgeiz – dein Sohn soll ganz groß herauskommen, und bei der ersten kleinen Schlappe kommst du in Panik.
Für den Distanzierten ist das empathische Eingehen auf seine Mitmenschen ein wichtiges Entwicklungsziel, das «aktive Zuhören» eine gute Einstiegsübung. Allerdings darf man (häufiger: frau) bei einem «eingefleischten Distanzler» nicht mit schnellen Erfolgen rechnen – zu fremd ist ihm diese Art von Kontakt. In einer Eheberatung beklagte sich die Frau über mangelndes Verständnis ihres Mannes. Er erwiderte erstaunt, er verstehe sie doch gut. Der Klärungshelfer (KH) schlug daraufhin dem Mann vor, einmal wiederzugeben, was er verstanden habe von dem, was in seiner Frau vorginge (Beispiel aus Thomann und Schulz von Thun, 1988, S.122ff.):
KH: «Gut, dann schlage ich Ihnen mal vor, Sie wenden Ihren Stuhl frontal zu Ihrer Frau und sagen mal, was Sie bis jetzt von ihr verstanden haben: Wie es ihr geht. Was Sie glauben, was in ihr vorgeht. – Denn sie sagt ja: ‹Mein Mann hat kein Verständnis.› – Jetzt wollen wir mal die Probe machen: Was haben Sie bis jetzt verstanden von ihrem Zustand, wie es ihr innerlich geht?»
Mann: «Wieso soll ich Ihnen – das hab ich doch eben alles klar vorgelegt, äh – äh, was zwischen uns beiden los ist.»
KH: «Ja, das war von Ihnen aus gesehen. Jetzt mal von ihr aus gesehen.»
Mann: «Jetzt soll ich mich in ihre Haut versetzen? Oder mich auf ihren Stuhl setzen?»
KH: «Ja, nur innerlich.»
Mann: «Symbolisch?»
KH: «Symbolisch – ja. Und sagen: ‹Ich weiß von dir, daß du dich so und so fühlst.› Und nicht von Ihnen reden. Mal Ihre eigene Sache hinter Ihren Stuhl stellen. Das ist eine schwierige Aufgabe, ich weiß.»
Mann: «Muß ich erst einmal Luft holen.»
KH: «Ja. Nehmen Sie sich ruhig Zeit.»
Mann (scherzhaft): «’nen Cognac haben Sie nicht?»
KH: «Den kann ich Ihnen nicht bieten. Das ist eine schwierige Aufgabe für Sie.»
Mann: «Ja. Ja – ich weiß nicht, ob ich richtig verstanden habe, äh, ich soll von mir aus sagen, was ich von ihr denke oder wie sie über mich denkt?»
KH: «Nein. Wie Ihre Frau über die Situation denkt und wie sie über sich denkt und fühlt.»
Mann: «Das will ich – das will ich Ihnen ganz kurz anreißen.»
KH: «Nicht mir – sondern ihr.»
Mann: «Meine Frau, – meine Frau ist ’ne herzensgute Frau.»
KH: «Einen Augenblick. – Jetzt sagen Sie, was Sie über Ihre Frau denken. Verständnis ist dann gegeben, wenn Sie direkt zu ihr sagen: ‹Du, Erna, ich weiß von dir, daß du dich in letzter Zeit oft deprimiert fühlst. Ich weiß, daß dich nichts so die Wände hochbringt, wie, wenn ich ableugne, daß ich getrunken habe› usw. in der Art.»
Mann: «Hm. – Ich weiß, daß ich dein
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