Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Vertrauen jahrelang mißbraucht habe, äh, – ich weiß auch, wie du darüber denkst.»
(Pause)
KH: «Nämlich?»
Mann: «Daß ich das Vertrauen mißbraucht habe, indem du deine Kontrolle über mich verschärft hast; indem du aufpaßt, ob ich eine Flasche habe und wo sie steht. Und wenn sie dort steht, nimmst du sie mir weg und versuchst mir dadurch dann eben die Wahrheit zu sagen, daß ich dich belogen habe.»
KH: «Gut. Jetzt haben Sie verschiedene Taten aufgezählt. Können Sie mal versuchen, sich innerlich auf den Stuhl Ihrer Frau zu setzen und zu denken: Was geht wohl in der Frau innerlich vor, daß sie mich kontrollieren will?»
Mann: «Dann muß ich ja wieder von meiner Ansicht ausgehen.»
KH: «Nein, von Ihrer Einfühlung in die Situation Ihrer Frau.»
Mann: «Meine Frau hat keinen anderen Willen, als mit mir harmonisch zusammenzuleben. Und wenn ich diesem Strom entgegenschwimme, dann wird sie depressiv und krank. Und kriegt hier Schmerzen und da Schmerzen. Und kriegt Kopfschmerzen und Fußschmerzen und alles mögliche. Sie lebt dann in einer gewissen seelischen Spannung. Und diese Spannung, die wirkt sich auf ihren gesamten Organismus aus. Sie ist ja über jedes, was ich mache …»
Abgrenzung und Verbundenheit. Kommen wir abschließend auf einige Entwicklungsquadrate zu sprechen, die nicht mehr unmittelbar den Kommunikationsstil betreffen, sondern mehr grundsätzlicher Natur sind und die für Menschen wegweisend werden können, bei denen der distanzierende Anteil überwertig gelebt wird. Ihr Entwicklungsauftrag besteht darin, die überscharfe Abgrenzung zum Gegenüber («Ich so – du so!») zu überwinden und sich einzulassen , ohne in symbiotische Verschmelzung zu geraten. Damit werden sie dem doppelten Auftrag der menschlichen Entwicklung in Bezug auf Liebe und Partnerschaft gerecht: ein eigenständiges Individuum zu werden und sich in liebende Bindung zu begeben, ohne das eine auf dem Altar des anderen zu opfern:
Dieses Wertequadrat ist dem sehr verwandt, das wir unter der Polarität Selbstbehauptung und Hingabe beim selbst-losen Stil kennengelernt haben (S.122), freilich mit überkreuzter Entwicklungsrichtung. Es sei hier in einer etwas anderen Begrifflichkeit noch einmal aufgeführt:
Noch einen etwas anderen Akzent erhält das Quadrat, wenn wir die zum «Wir» hinführende Haltung zugrunde legen, die Alfred Adler als «Gemeinschaftsgefühl» bezeichnet hat. Mit diesem etwas vagen Begriff war die Bereitschaft und die Fähigkeit gemeint, mit anderen Menschen im Hinblick auf das gemeinsame Wohl und das Gemeinwohl zu kooperieren. Da der im Minderwertigkeitsgefühl verstrickte neurotische Mensch seine Energien in der Sorge um den eigenen Wert bindet und somit gleichsam um die eigene seelische Achse kreist, ist er darin behindert, sich der Gemeinschaft zu widmen – insofern war bei Adler «Gemeinschaftsgefühl» und «seelische Gesundheit» ein und dasselbe. Allerdings lässt sich auch das Gemeinschaftsgefühl überwertig leben und für jede ideologische Gleichschaltung instrumentalisieren (was auch geschehen ist). Offenbar bedarf es eines ausgleichenden Prinzips, um der selbst-losen Anpassung zu entgehen, die im Gemeinschaftsgefühl als Gefahr angelegt ist. Dieses sehe ich im Eigensinn , im Eigen-Sinn nämlich, der die Treue zu der eigenen Urteilsfähigkeit und den Wertmaßstäben des eigenen Gewissens höher stellt als die «Linientreue» dem Kollektiv gegenüber. Aber auch dieser Eigensinn kann zu egozentrisch-sturer Eigensinnigkeit verkommen, wenn er nicht mit jenem Gemeinschaftsgefühl gepaart ist, das Alfred Adler im Sinn hatte:
Selbsterfahrung für Distanzierte? Wie können nun Menschen, die in der hier besprochenen Hinsicht einen Entwicklungswunsch verspüren (und davon gibt es viele, besonders unter den Männern und den Angehörigen kaufmännisch-technischer Berufe), mit sich selbst vorankommen? Gelegentlich fragen die Betreffenden: «Gibt es da Möglichkeiten, für sich alleine etwas zu tun, irgendwelche Methoden des Selbsttrainings?» In der so gestellten Frage tut sich die menschliche Neigung kund, in der Wahl der Heilmittel das alte Muster zu verewigen. Da das Entwicklungsziel etwas mit Kontakt, Nähe und Sich-Einlassen zu tun hat, muss die Therapie einen zwischenmenschlichen Kontext stiften. Wieder gilt das bewährte Prinzip der Persönlichkeitsentwicklung: Riskiere ein «Auswärtsspiel», aber wähle die Dosierung so, dass das Ungewohnte verkraftbar und die Angst erträglich bleibt;
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