Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
hat sie, was Übung sein sollte, zur Norm erhoben und damit die Sprache der Distanz zur Untugend bzw. zur «Rückständigkeit» erklärt. Eine wohlverstandene Kontaktfähigkeit hat jedoch beide Möglichkeiten – Nähe und Distanz –, sowie alle Schattierungen dazwischen, einzuschließen, damit die Umgangs- und Redeweise in Übereinstimmung mit der Wahrheit der Beziehung bleibt:
Die Sprache der Nähe. Nachdem wir die Eigenarten des distanzierten Menschen gleichsam rehabilitiert und seine Haltung in ihrem potenziellen Wert erkannt haben, ist nun der Zeitpunkt gekommen, auch seine Entwicklungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen. Im Strukturmodell des Nachrichten-Quadrates ergibt sich ein Nachholbedarf auf der Selbstkundgabe- und Beziehungsseite (s. Abb. unten).
Das bedeutet zu lernen, in sich hineinzuhorchen und ohne allzu große Scheu auszudrücken, was in einem vorgeht, und sich so anderen Menschen gegenüber zu öffnen, ihnen einen Einblick in die eigene Innenwelt zu gewähren. Die «Erfinder» der Ich-Botschaft und des Stuhles B (vgl. S.179) haben nicht zuletzt den Distanzierten als Klienten vor Augen gehabt. Mitunter spürt er recht deutlich, was in ihm vorgeht – aber er kann es schlecht ausdrücken, hat keine Worte dafür, und so bleibt die Innenwahrnehmung diffus und undifferenziert. Durch die Technik des «Doppelns» kann ein Klärungshelfer hier gute Dienste leisten, indem er die Andeutungen und abstrakten Umschreibungen einfühlend in die Sprache des Herzens übersetzt. In einem zweiten Schritt kann der Distanzierte dann selbst lernen, «per Ich» zu sprechen und seine Gefühle mehr und mehr auszudrücken.
Beispiel: In einem Kommunikationskurs für Trainer wollte ein Teilnehmer sich «mehr in Richtung Nähe» entwickeln. Der Hintergrund war, dass seine Frau sich wiederholt beklagt hatte, sie käme nicht an ihn heran. Meine Einladung zu einem Experiment bestand in dem Vorschlag, er möchte zu einigen Anwesenden in der Gruppe etwas Persönliches sagen – so könnten wir versuchen, die ‹Sprache der Nähe› auszuprobieren.
Der Teilnehmer: «Gut, ich beginne mit Herrn W. – Also (kurze Pause), mit Herrn W. kann man gut reden, ohne dass das gleich so … verkrampft wird» (der Blick auf den Fußboden gerichtet).
Nachdem ich nachgefragt habe, wie sich dieser Satz von innen anfühle (Antwort: «etwas Herzklopfen»), kommentiere ich: «Das ging jetzt schon in Richtung ‹Sprache der Nähe›, denn Sie haben sich exponiert und eine konkrete Person ausgewählt – daher auch das Herzklopfen, das zeigt, dass Sie persönlich engagiert sind. Was hingegen jetzt noch in Richtung Distanz ging, war 1. dass Sie ihn nicht direkt angesprochen und auch nicht angeschaut haben, 2. das Wörtchen ‹man› statt ‹ich› und 3. das objektivierende ‹ohne dass es gleich verkrampft wird›.
Können Sie genauer sagen, wie Sie Gespräche mit Herrn W. erlebt haben, sodass Sie sich nicht verkrampfen mussten?»
«Es war irgendwie, dass er nicht so in einen eingedrungen ist, wie soll ich sagen – es war ein ganz normales Gespräch.» usw. Nach einer längeren und schwierigen Geburt lautete die Mitteilung in ihrer Endform: «Mit Ihnen bin ich gern zusammen, da ich den Eindruck habe, Sie wollen nicht gleich über intime oder schwerwiegende Dinge reden. Denn das wäre mir unangenehm, und ich würde sofort verkrampfen. Das passiert mir häufig im Kontakt mit Menschen – aber bei Ihnen war das anders, das ist mir direkt aufgefallen.»
Es ist diese direkte «Ich-Du-Sprache», die eine Beziehungsklärung vorantreiben kann. Für den Distanzierenden ist es wichtig zu erfahren, dass all das, was er da plötzlich von sich preisgibt, völlig in Ordnung ist und nicht etwa das Eingeständnis einer Schmach bedeutet – als was er es allerdings oft empfindet: «Man sollte doch nicht so leicht verkrampfen!» – Die heilsame Antwort darauf: «Warum nicht? Wenn Ihnen jemand zu nahe rückt, ohne dass für Sie schon eine Basis dafür vorhanden wäre, dann verkrampfen Sie eben – und an dem Verkrampfen merken Sie: Da stimmt etwas nicht, zumindest sind Sie noch nicht so weit.»
Empathische und diagnostische Empfangsweise. Werfen wir nun auch noch einen Blick auf das Empfangen von Mitteilungen. Wie im Beispiel-Dialog S.282f. vorgeführt, ist beim Distanzierten das «Sach-Ohr» ausgezeichnet entwickelt und häufig im Einsatz. Demgegenüber mangelt es ihm an Einfühlung . Sein Selbstkundgabe-Ohr ist zwar auch gespitzt, aber eher
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