Miteinander reden von A bis Z
Folgender Gedanke liegt dem Modell zugrunde: Im menschlichen Zusammenleben entfalten wertegeleitete Tugenden und Qualitäten nur dann eine konstruktive Wirkung, wenn sie in
«ausgehaltener Spannung» (Balance)
zu einem Gegenwert gelebt und verwirklicht werden, zu einer komplementären «Schwestertugend», die geeignet ist, einer
übertreibenden Entwertung
der in Rede stehenden Tugend entgegenzusteuern. Beispiel:
Abb. 83 :
Urbeispiel für ein Wertequadrat nach Helwig
Sparsamkeit wird leicht zum Geiz, wenn nicht Großzügigkeit als Schwestertugend hinzutritt. Genauso verkommt aber auch Großzügigkeit zu einer Untugend, nämlich der Verschwendung, wenn sie nicht mit Sparsamkeit gepaart ist. Helwig ordnete diese vier Qualitäten in der abgebildeten Weise.
Dieses Modell ist überaus hilfreich, um auch Qualitäten der Kommunikation genauer zu beschreiben. So erstrebenswert beispielsweise eine akzeptierende und wertschätzende Haltung ist – ohne die ausgleichende Fähigkeit zur Konfrontation verkommt sie zur kritiklosen Nettigkeit. Das Gleiche gilt in umgekehrter Weise: Konfrontatives Verhalten kann nur dann konstruktiv wirken, wenn es um die Fähigkeit zur Akzeptanz und Wertschätzung ergänzt wird. Ohne diesen ausgleichenden Gegenpol, die so genannte Schwestertugend , besteht die Gefahr, dass Konfrontation übertrieben wird und zu einer feindseligen Aggression missrät. Die Aufgabe der Schwestertugend besteht darin, der Übertreibung des jeweils anderen Wertes entgegenzusteuern (s. Abb. 84 ).
Abb. 84 :
Wertequadrat Akzeptanz und kritische Konfrontation
Wir sagen: Wertschätzende Akzeptanz ohne kritische Konfrontation verkommt leicht zu kritikloser Nettigkeit – und eine Haltung von kritischer Konfrontation verkommt, wenn sie nicht mit wertschätzender Akzeptanz gepaart ist, zur herabwürdigenden Feindseligkeit.
Im «Wertehimmel» der Kommunikationspsychologie gibt es somit nur Paarlinge: Ehrlichkeit ohne Taktgefühl ist ebenso gefährlich wie Taktgefühl ohne Ehrlichkeit. Schulz von Thun spricht von «Regenbogenqualitäten», wenn zwei positive Gegensätze eine Ergänzungspartnerschaft eingehen. In der folgenden Abbildung 85 sind die wichtigsten Zusammenhänge zusammengefasst.
Abb. 85 :
Regenbogenqualitäten im Wertequadrat
Die beiden positiven Werte (Qualitäten) stehen einander oben gegenüber und befinden sich in einem
komplementären
Gegensatz-Verhältnis. Sie sind einander näher als die Übertreibungen auf der unteren Etage, die in einem unversöhnlichen
diametralen
Gegensatz zueinander stehen (z.B. Geiz und Verschwendung). Die (anzustrebende) Integration des komplementären Gegensatzes lässt oben den Regenbogen aufgehen.
Über die Diagonalen ergeben sich
konträre
Gegensätze (Sparsamkeit und Verschwendung/Großzügigkeit und Geiz). Senkrecht nach unten versteht sich die Untugend als «des Guten zu viel» von der Tugend darüber (z.B. Geiz als des Guten zu viel von Sparsamkeit).
Die Diagonalen haben noch eine weitere wichtige Bedeutung. Schulz von Thun griff Helwigs Wertequadrat 1989 auf und ergänzte es um den Aspekt der Entwicklungsmöglichkeiten. Nunmehr lassen sich individuelle Entwicklungsrichtungen aus dem Modell ableiten. Neigt eine Person beispielsweise zur kritiklosen Nettigkeit (unten links), so zeigt ihre Entwicklungsrichtung hin zur Konfrontation (oben rechts). Dies ist im Modell durch einen diagonal aufsteigenden Pfeil gekennzeichnet. Indem die Konfrontationsfähigkeit entwickelt wird und gleichzeitig Akzeptanz und Wertschätzung erhalten bleiben sollen (die positive Fähigkeit, die in dem übertriebenen Verhalten steckt), versucht man, beide Werte in die Balance zu bringen. Wer nun umgekehrt zu feindseliger Aggression (unten rechts) neigt, dessen Entwicklungsrichtung geht zu Akzeptanz und Wertschätzung (oben links) (s. Abb. 86 ).
Abb. 86 :
Entwicklungsrichtung im Wertequadrat
Der Regenbogen im Werte- und Entwicklungsquadrat, den es zu erreichen gilt, besteht in der dynamischen Balance der beiden sich ergänzenden Werte. Es wird daher nicht ein bestmöglicher Fixpunkt angestrebt, sondern die variable Verfügbarkeit beider Werte in Abhängigkeit von der Situation. So kann es sein, dass in einer Situation mehr Konfrontationsfähigkeit sinnvoll erscheint, in einer anderen hingegen mehr Akzeptanz.
Die Diagonalen im Wertequadrat sind auch von oben nach unten als Vorwurfsrichtungen von Bedeutung. In → Konflikten kann es zu einer → Polarisierung von Werten
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