Mithgar 15 - Drachenbann
er hörte nur das Rauschen des Windes, der durch die zerklüfteten Klippen des Grimmwall pfiff. Dann aber ertönte der ferne Schrei erneut. »Klingt wie ein verirrtes Bärenjunges.«
»Stimmt«, antwortete Beorc.
Uran schulterte seine Ausrüstung. »Bleibt uns nichts anderes übrig als nachzusehen, ob es ihm gut geht.«
Beorc schulterte ebenfalls seine Ausrüstung. »Aber pass auf, Uran. Das Muttertier ist vielleicht in der Nähe.«
Uran nickte und ging voran. Die beiden Männer stiegen höher in die Klippen hinauf.
Wieder ertönte der Ruf. »Dieser Schrei ist unverwechselbar«, knurrte Uran, während die beiden Männer den Hang erkletterten. »Es ist ein Bärenjunges, denn kein anderes Tier schreit so. Und zwar eines, das in der Klemme steckt, wenn meine Ohren mich nicht täuschen.«
Die Männer kletterten in den Bergen westlich der Insel Delon, im Fluss Argon. Sie hatten nach Fährten der Brut gesucht, denn ihnen waren Gerüchte zu Ohren gekommen, dass der Grimmwall wieder ein gefährlicher Ort geworden war. Die Wrg aber hatten noch nicht mit ihren Überfällen begonnen; es schien, als warteten sie auf ein Zeichen oder einen Anführer. Modru sollte sich angeblich in seinem Exil in der Ödnis befinden, und zwar seit dem Großen Krieg vor etwa neununddreißighundert Jahren. Gyphon war an einen Ort unter den Sphären verbannt, und zwar ebenso lange. Bisher war niemand in der Lage gewesen, die gesamte Nation der Brut zu sammeln, weshalb das Auftauchen so vieler von ihnen hier im Grimmwall zu dieser Zeit ein großes Rätsel war. Aus diesem Grund waren die Baeron im Frühling aus dem Großen Grünsaal gekommen und hatten sich auf der Insel Delon in den klaren Wassern des Argon niedergelassen. Von dort aus schickten sie Kundschafter in die Berge, um die Bewegungen der Wrg zu kontrollieren.
Die beiden Brüder Uran und Beorc, in unterschiedliche Brauntöne gekleidet, waren zwei von diesen Spähern. Wie alle Männer der Baeron waren sie groß und muskulös. Uran, der ältere, maß mehr als eins achtzig und wog etwas über hundert Kilo. Beorc, der jüngere, war vielleicht einen Zentimeter kleiner und brachte etwas weniger auf die Waage, ungefähr fünfundneunzig Kilo. Beide hatten braune Augen und dunkelbraunes Haar; Uran trug einen Bart, sein Bruder war glatt rasiert. Uran war mit seinen vierundzwanzig Jahren bereits verheiratet, Beorc, der einundzwanzig Jahre zählte, noch nicht.
Jetzt kletterten sie im Licht der Spätsommersonne an diesem frühen Morgen in die Berge, um nachzusehen, was einem Bärenjungen fehlte, einem Jungen, das jämmerlich um Hilfe schrie. Dass diese Männer dies taten, war nicht weiter verwunderlich, denn Bären waren für die Baeron etwas ganz Besonderes, Bären und Wölfe. Einige Leute meinten, es gäbe ein mystisches Band zwischen den Baeron und diesen wilden Tieren. So mancher verstieg sich gar zu der Behauptung, die Baeron könnten mit Wölfen und Bären reden. Die eigentliche Wahrheit, die dahinter steckte, kannte kaum jemand, und ganz genau wusste es gar keiner.
Wieder ertönte der klagende Ruf.
»Da oben.« Beorc streckte die Hand aus. »Kein Junges, aber ein Bär.« Uran sah in die Richtung, in die sein Bruder deutete. Und tatsächlich, am Rand eines mit Geröll übersäten Vorsprungs lag die Gestalt eines großen Bären.
Sie kletterten weiter. »Ein Fuchs!«, rief Uran. »Nein, zwei!… Drei sogar.«
Sein roter Pelz, der in der Sonne leuchtete, verriet den Fuchs, der hastig zwischen den Steinen davonhuschte.
Uran blieb staunend stehen. »Bei Adon! Ich traue meinen Augen nicht. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte …!« Er verstummte nachdenklich und kletterte dann weiter.
»Was?« Aber Beorc bekam keine Antwort auf seine Frage.
»Ganz gleich, was du gesehen hast, Uran«, fuhr er dann fort. »Füchse können keinen ausgewachsenen Bären zur Strecke bringen, ganz gleich, ob es eine Bärenmutter oder ein männlicher Bär ist.«
Das Heulen des bestürzten Jungen schien ganz aus der Nähe zu kommen.
»Vielleicht sind sie ja hinter dem Jungen her gewesen«, sagte Uran und kletterte weiter hinauf.
»He, sieh nur!« Uran deutete den Hang hinauf, wo ein anderer getöteter Bär zu liegen schien.
Beorc hob prüfend die Hand in den Wind. »Pass auf, Uran. Der Wind weht in unsere Richtung. Vielleicht schlafen sie nur; ich möchte sie nur ungern erschrecken.«
Uran nahm den Morgenstern von seinem Gürtel. »Hier stimmt was nicht, Beorc.«
Während Beorc seine eigene Waffe zur Hand
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