Mithgar 15 - Drachenbann
reichte ihr die frisch gefüllte Schale noch einmal, und dann ein drittes Mal; beim letzten Mal nahm die Damman sie selbst in die Hände und trank.
»Wo?«, flüsterte sie, als Faeril sie sinken ließ.
Gwylly antwortete ihr. »Du bist im Quartier des Heilers, Liebste. Wir haben dich vor drei Tagen hergebracht.«
Faeril sah ihn erstaunt an. »Vor drei Tagen?«
Riatha nickte. »Es schien, als würdet Ihr fiebern, obwohl Ihr doch keine Temperatur hattet. Euer Bewusstsein war von Euch gewichen. Gwylly hat Euch so gefunden, auf Eurer Türschwelle, vor drei Abenden.«
»Ach, Riatha, ich war im Kristall …«, ihre Stimme wurde energischer, »es war wunderschön.«
Gwylly drückte ihre Hand. »Ach, Liebste, und ich dachte … Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Aber du bist wieder da, das ist doch alles, was zählt, du bist zurückgekehrt!«
»Im Kristall?« Riatha sah Aravan an. Der Elf schüttelte den Kopf. Denn trotz seiner vielen Lebensjahre hatte er so etwas noch nicht gehört.
»Ja, Riatha, im Kristall.« Sie zog Gwyllys Hand an ihre Lippen und küsste seine Finger. »Ach, Gwylly, ich habe versucht zu sehen, was die Zukunft für uns bringt. Aber ich bin gescheitert, mein Bokkerer, denn auch wenn Bilder an mir vorübergeglitten sind, so habe ich doch keine Vision von der Zukunft erhalten.«
Gwylly streichelte wieder ihre Finger. »Vielleicht nicht, aber du hast etwas gerufen.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Auf Twyll.«
»Und was habe ich gesagt? Konntest du es verstehen?«
»Aber ja. Ich habe die Worte gehört, aber ihre Bedeutung ist mir nicht klar. Es ist passiert, als Riatha dich das erste Mal untersucht hat. Du hast deine Augen geöffnet, sie angesehen und gesagt:
>’Ritana fi Za’o
De Kiler fi ca omos,
Sekena, ircuma,
va lin du En Vailena fi ca Lomos.<
Wenn ich das Twyll richtig übersetze, müsste es heißen:
>Reiter der Unmöglichkeit,
Ein Kind desselben,
Sucher, Forscher, wird er sein
Ein Reisender zwischen den Ebenen.<«
Faeril sah Riatha erklärungsheischend an. Die Elfe schüttelte jedoch bedächtig den Kopf. »Ich weiß es nicht, Kleine. Allerdings würde es fürwahr einen Reiter der Unmöglichkeit erfordern. Denn nur ein solcher könnte zwischen den drei Ebenen hin und her reiten. Die Wege bleiben für alle, die nicht vom Blut sind, blockiert, und keiner besitzt das Blut aller drei Ebenen.«
Aravan versank in tiefes Nachdenken, sprach jedoch nicht, sondern behielt seine Meinung für sich.
Am nächsten Morgen kam Riatha allein zu Faeril, um mit ihr zu sprechen. »Achte auf meine Worte, Kleine: Ich weiß nicht, wie ich Euch richtig raten soll, aber eines kann ich immerhin sagen: Was für Euch nur Augenblicke in deinem Kristall gewesen zu sein schienen, hat außerhalb des Steines drei Tage gedauert. Die Reise, die Ihr angetreten habt, war sehr gefährlich, und obwohl Ihr sicher zurückgekehrt seid, würde ich Euch davon abraten, ohne einen erfahrenen Führer diesen Weg erneut zu beschreiten … Mit einem Führer, der die Kristalle und die Wege des Suchens kennt. Sonst besteht die Gefahr, dass Ihr Euch verirrt und nie wieder zurückfindet.«
Die Damman schwieg lange, dachte nach, erinnerte sich an die Schönheit des Kristalls, an das Gefühl von Frieden und Wohlbefinden, an die goldenen Spiegelbilder ihrer Seele und die Visionen dahinter, und schließlich erinnerte sie sich auch an die verängstigte Miene ihres Bokkerers. Am Ende seufzte sie und versprach der Elfe, deren Worte zu beherzigen.
Faeril erholte sich von ihrem Abenteuer, und diese Erfahrung schien ihr nicht geschadet zu haben. Die Damman brannte darauf, den Kristall erneut zu verwenden; trotzdem war sie entschlossen, Riathas Warnung ernst zu nehmen und zu warten, bis sie jemanden fand, der Erfahrung hatte, was die Hellseherei betraf. Aber obwohl sie auf einen Lehrer warten wollte, kehrten ihre Gedanken immer wieder zu diesen glitzernden, sich drehenden, schimmernden Flächen und dem Klingeln und Läuten der Windspiele zurück.
Der Sommer kam - und die Sommersonnenwende. Die Tage wurden länger, nämlich zur Ernte hin, und dann kürzer, als der Herbst nahte. In dem Monat, in welchem der Sommer begann, erhielt Aravan die Nachricht, ein Schiff warte auf sie in Ander, und zur Tag- und Nachtgleiche im Herbst werde es Segel setzen und sie nach Innuk bringen. In den schwindenden Sommerwochen, etwa fünfunddreißig Tage vor dem ersten Herbsttag, brachen die vier vom Ardental auf und machten sich auf die
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