Mithgar 15 - Drachenbann
Eines wahren Giganten.
Urus.
Riatha weinte, als sie ihn die Halde aus Eisbrocken hinunter zum Boden zogen.
Jetzt konnten sie auch sehen, was das Glühen verursacht hatte. An seinem Gürtel hing ein Aspergillum, ein Weihwasserspender, mit dem die Mönche und Priester geweihtes Wasser auf die Gläubigen sprühten. Dieser Gegenstand schimmerte.
Noch während sie hinsahen, streckte Aravan staunend die Hand aus und berührte den glühenden Weihwasserspender. Sofort erlosch das Glühen, und zurück blieb nur eine scheinbar ganz gewöhnliche religiöse Gerätschaft, wenn auch eine kostbare, denn sie bestand aus Elfenbein und Silber.
Riatha hob ihr Ohr von Urus Brust und wiegte sich auf den Knien vor und zurück. Sie weinte und hatte die Arme vor der Brust gekreuzt. Ihr Gesicht war vor Qual verzerrt, und ihr Schluchzen erschütterte ihren ganzen Körper, als hätte sie ihre Trauer tausend Jahre lang zurückgehalten. Und inmitten ihres Schluchzens rief sie seinen Namen. »Urus … ach, mein Urus!«
Faeril rollten ebenfalls die Tränen über die Wangen, als sie sich zu ihrem Bokkerer herumdrehte. »Ach, Gwylly, ich habe gegen alle Wahrscheinlichkeit gehofft…«
Gwylly umarmte sie, drückte sie an sich und strich ihr übers Haar. Seine eigene Miene verriet ebenfalls Bestürzung. Aravan kniete sich neben Riatha, legte einen Arm um ihre Schultern und sprach leise zu ihr. Über ihren Köpfen glühte derweil das Auge des Jägers, erneut bebte die Erde unter ihnen heftig und zitterte eine Weile nach. Aus der Ferne klang das Läuten eiserner Glocken bis zu ihnen heran.
Und in eben demselben Augenblick holte Urus einmal tief und bebend Luft, atmete aus und rührte sich danach nicht mehr.
Riatha beugte sich vor, drückte ihr Ohr auf seine Brust und lauschte lange. Schließlich sagte sie, ohne den Kopf zu heben: »Er lebt, aber nur ganz schwach. Wir müssen ihn in Sicherheit bringen. An einen Ort, wo er warm wird und wir uns um ihn kümmern können.«
Gwylly sah Faeril an, während das Echo der Glocken verklang. »Das Kloster?«
»Ist das Kloster in der Nähe?«, rief Faeril von dem Eisblock herunter.
Riatha hob ihren Kopf von Urus’ Gestalt und blickte, auf den Knien hockend, zu der Damman hinauf. »Nein, es ist sieben Meilen entfernt, dazu muss man über raues Gelände, zerborstenes Land … Aber Ihr habt recht, es ist der einzige vernünftige Ort im Umkreis von zahllosen Meilen.«
Aravan stand auf und nahm ein Eisbeil vom Gürtel. »Wir können ihn nicht so weit tragen. Ich suche einen Baum und fertige eine Trage an.«
Gwylly drehte sich herum und erblickte von seinem erhöhten Standort aus eine Ansammlung von Krüppelkiefern. »Dort drüben, Aravan!«
Der Bokker kletterte von dem Block herunter und führte den Elf nach Süden.
Faeril stieg ebenfalls hinab und trat zu Riatha und Urus. Die Elfe untersuchte den Mann, ob er Knochen gebrochen hatte, aber sie fand keine Verletzung. Danach konnte sie nicht viel mehr für ihn tun, als ihn an einen warmen, sicheren Ort zu bringen. »Vielleicht können wir ihn von dem Eis wegschaffen«, schlug die Damman vor.
»Ich würde lieber auf die Trage warten, Kleine«, erwiderte Riatha.
Sie warteten schweigend, beobachteten dabei den Mann, und nach einer Weile holte Urus ein zweites Mal tief Atem, ein Mal, nicht mehr. Wieder legte Riatha ihr Ohr auf seine Brust. »Er lebt noch immer«, murmelte sie.
Faeril zog einen Handschuh aus und nahm die riesige Hand des Mannes in die ihre. Seine Finger fühlten sich wie Eiszapfen an. »Wie kann das sein?«, erkundigte sie sich. »Dass Urus nach tausend Jahren noch am Leben ist?«
Riatha wartete lange mit ihrer Antwort. »Ich weiß es nicht«, räumte sie schließlich ein. Sie war in Gedanken versunken und betrachtete den silbernen und elfenbeinernen Weihwasserspender. »Vielleicht…«
Gwyllys Ruf unterbrach Riatha, bevor sie ihre Vermutung äußern konnte.
Mit Tauen, Kletterharnischen und Zweigen von einer arktischen Kiefer fertigten sie eine Trage. Behutsam rollten sie Urus darauf, und Aravan streifte sich den improvisierten Harnisch über die Schultern. Mit der Hilfe der anderen zog der Elf den Menschen von dem Gletscher, und geführt von Riatha marschierten sie nach Süden. Sobald das Terrain es zuließ, wollten sie sich nach Westen wenden, dem verlassenen Kloster zu.
In dem silbernen Licht des Mondes konnten die Wurrlinge den Mann endlich richtig erkennen, und er glich tatsächlich Petals Beschreibung in ihrem Tagebuch: er hatte
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