Mithgar 16 - Drachenmacht
uns atmet, die schimmernden Wasser, die in Strömen und Flüssen fließen und an die Gestade der Ozeane schlagen, all dies ist unser Lebenssaft.
Die Erde gehört niemandem; stattdessen gehören wir der Erde. Alles Seiende ist in dem großen Gewebe des Lebens miteinander versponnen, und was auch immer einer Stelle dieses Gewebes angetan wird, wird Erschütterungen erzeugen, die im ganzen Gewebe zu spüren sind.
Wer besitzt die Welt? Man könnte ebenso gut fragen: Wem gehört der Wind?…«
»Natürlich gehört der Wind niemandem, Aravan.« Gwyllys Stimme drang in Aravans Bewusstsein, und da begriff der Elf, dass er laut gedacht hatte.
Er lachte. »Aye, Gwylly. Niemandem gehört der Wind. Denn wenn doch, dann könnten wir ihn heranpfeifen und uns aus dieser Flaute befreien.«
Der Bokker wandte sich herum und blickte nach vorn. »Legori rudert, um ihn zu finden. Ich glaube, ich sehe ihm zu. Wollt Ihr mitkommen?«
»Nein, Kleiner. Ich bleibe lieber eine Weile hier.«
Der Bokker zuckte mit den Schultern und ging dann zum Bug.
Während die Männer in den Dinghis über die spiegelglatte See ruderten und die Bello Vento langsam hinter sich herzogen, den Wind suchten, lehnte sich Aravan an die Heckreling, blickte ins Wasser und überließ sich seinen Erinnerungen …
Und immer noch vermischten sich die funkelnden Muster, kräuselten das Meer und breiteten sich aus …
Einen ganzen Tag und eine Nacht lang war das arabalinische Schiff auf dieser glasklaren See gefangen, während die Matrosen sie langsam nach Süden schleppten. Doch gegen Morgen zeigte ein sachtes Schlagen des schlaffen Segels an, dass sich die Luft rührte. Am Vormittag endlich kam eine schwache Brise auf, die Dinghis wurden wieder eingeholt, die Männer stimmten ein Seemannslied an, und erneut war die Bello Vento unterwegs.
Als sie ihr Mittagsmahl einnahmen, frischte der Wind merklich auf, das Schiff krängte und durchschnitt zügig die Wellen. Faeril lächelte. »Irgendwann habe ich schon befürchtet, dass die Männer den ganzen Weg bis nach Sabra rudern müssten. Ich bin froh, dass es nicht dazu gekommen ist.«
»Ich bin froh, dass wir wieder auf der Jagd sind«, meinte Gwylly.
»Jagen, schon, aber finden, nein«, antwortete Faeril. »Jedenfalls noch nicht. Es wird wohl ein wenig dauern.«
Aravan sah Riatha und Urus an und richtete seinen Blick schließlich auf die Wurrlinge. »Es kann wahrlich eine lange Suche werden, in der Tat. Doch für die Elfen geschieht eine Jagd, die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte lang andauert, in nicht mehr als einem Wimpernschlag. Für Wurrlinge jedoch … Habt Ihr diese Zeit? Es könnte nämlich ungezählte Jahre dauern.«
Faeril nahm die Hand ihres Bokkerers. »Solange ich bei Gwylly bin.«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Gwylly, wie Riatha nach Urus’ Hand tastete.
Am neunten Tag ihrer Reise schwamm eine Schule von Tümmlern vor ihrem Bug, und die einzelnen Fische sprangen voller Freude aus dem klaren, blauen Wasser empor. Faeril und Gwylly betrachteten entzückt ihr agiles Spiel.
Urus und Riatha standen ebenfalls Hand in Hand an der Reling und sahen glücklich zu. »Meine Dorfältesten«, meinte Halid, »sagen, dass die jeenja Schiffbrüchigen helfen, aber ich hoffe doch, dass ich niemals herausfinden muss, ob diese Geschichte stimmt.«
Aravan lehnte auf dem Bugspriet und sah ebenfalls zu. »Aye, Halid, sie helfen tatsächlich jenen, deren Schiffe gekentert sind. Sie unterstützen die Schwimmenden, auf dass sie nicht untergehen, und führen sie zum Land. Aber ich glaube, dass andere ebenfalls helfen, also andere Bewohner der Tiefe.«
»Lord Aravan«, Halid sah ihn staunend an, »sprecht Ihr von den Kindern der Meere? Ai, es gibt viele Sagen unter den Gjeeniern von Wesen, die in den funkelnden Tiefen und den sich brechenden Wogen halb zu erkennen waren.«
Reigo schnaubte bei Halids Worten verächtlich. »Kinder der Meere? Pah! Mein Vater hat geschworen, dass sie nicht existierten … und er sollte es wissen, denn er war über dreißig Jahre lang Seemann.«
Aravan lächelte. »Dreißig Jahre? Wenn er mehr Zeit gehabt hätte, dann vielleicht…«
Halid musterte den Elf. »Wie lange seid Ihr gesegelt?«
Aravan sah Riatha an, als suchte er Hilfe, und erwiderte dann: »Mehr als fünftausend Jahre.«
Halid sackte der Kiefer herunter, und Reigo keuchte: »Fünftausend…?«
»Seht doch, seht!« Faeril streckte den Arm aus. Die Tümmler hatten eine lange, schräge Kette gebildet, und der Letzte in der
Weitere Kostenlose Bücher