Mittagessen Nebensache
mir leid. Aber im Augenblick hatte ich das
Gefühl, sterben zu müssen, und der Gedanke an den Tod hatte sogar etwas
ungemein Tröstliches an sich. Ich brachte noch die Energie auf, Larrys zu
gedenken, aber Christina war ja ein artiges Kind und Sam durchaus imstande, mit
der Situation fertig zu werden. Und im Grunde genommen — was ging das mich an?
Es war ja alles vollkommen egal.
Dann, als es mir gerade wieder
etwas besser ging, kam der nächste Schlag. Während eines wildtobenden Weststurmes
klingelte das Telefon verzweifelt. Nach einer Weile erschien Dawn mit der
Hiobsbotschaft, Mrs. Hill sei wieder krank, im
Krankenhaus aber kein Bett frei, eine Krankenpflegerin nicht aufzutreiben — was
also tun?
Nun war also eingetreten, was
Larry und ich schon längst hatten kommen sehen. Was wir aber nicht mit
einkalkuliert hatten — daß wir im kritischen Augenblick beide im Bett liegen
würden. »Ihr Hinterwäldler seid aber auch wirklich alle paar Augenblicke
krank«, murrte Dawn verdrießlich. »Viel zu schwächlich! Und ich hatte immer
geglaubt, die Landbevölkerung sei gesund und kräftig und in der Lage, auf
eigenen Füßen zu stehen.«
Miss Adams’ Bericht war mit
ziemlicher Sicherheit zu entnehmen, daß Mrs. Hill
zumindest für eine Woche nicht in der Lage sein würde, auf eigenen Füßen zu
stehen. Sobald ein Bett frei wurde, sollte sie im Krankenhaus aufgenommen
werden. Aber wer kümmerte sich inzwischen um ihren Haushalt? Obwohl ich mich
inzwischen auf dem Weg der Besserung befand, war es doch völlig ausgeschlossen,
daß Larry oder ich in die Nähe einer Schwerkranken kommen durften, um ihr
vielleicht auch noch die Grippe anzuhängen. Tantchen hielt mit Paul telefonisch Kriegsrat.
»Es ist wirklich Pech, daß Ruth
gerade nicht da ist«, jammerte sie. »Sie wäre natürlich sofort eingesprungen.
Und mit Larry oder Susan ist nicht zu rechnen.«
An dieser Stelle der
Unterhaltung kroch ich aus dem Bett und übernahm das Gespräch.
»Mir geht es wirklich schon
besser«, versicherte ich heldenhaft. »In drei bis vier Tagen bin ich wieder
völlig fit. Das Dumme ist nur, daß wir Mrs. Hill
anstecken könnten.«
»Das kommt gar nicht in Frage,
Susan. Doktor North hat ausdrücklich verboten, daß Sie in ihre Nähe kommen.
Tja, ich kann also nur versuchen, irgendwo eine Schwester oder eine Haushälterin
oder sonst eine hilfsbereite Person aufzutreiben. Eines Tages werde ich noch
durchs Land ziehen und um Hilfe für die Landfrauen predigen. Ich rufe Paul an,
sobald ich jemanden gefunden habe. Und Sie, Susan, gehen schleunigst wieder ins
Bett.«
Am nächsten Abend saß ich am
Kamin — mit dem unbeschreiblichen Gefühl, für diesmal noch am Leben zu bleiben
und auch weiterhin Pauls und Christophers Sonnenschein zu sein, als Miss Adams
anrief, um uns zu sagen, daß sie keine Hilfe bekommen könne. Es seien im Augenblick
so viele Leute krank, es habe einfach niemand Zeit.
»Bei Mr. Hill muß es drunter
und drüber gehen. Die Frau krank, die vielen Kinder, und um das Vieh muß er
sich natürlich auch kümmern. Und ausgerechnet jetzt brauchten zwei seiner
besten Kühe besondere Pflege. Es ist wirklich ein Jammer.«
Ich saß da und dachte
angestrengt nach. Dann nahm ich mein Herz in beide Hände. »Dawn, bitte
verabscheue mich jetzt nicht zu sehr, aber... aber würdest du hingehen? Es wäre
ja nur für eine Woche. Bis dahin bin ich wieder völlig gesund, und außerdem
wird ja Mrs. Hill ins Krankenhaus gebracht, sobald
dort ein Bett frei ist. Ich weiß, es wird furchtbar für dich sein, aber wir
können die Leute doch unmöglich im Stich lassen. Nicht wahr, Paul?«
Mit einer geradezu erschreckenden
Herzlichkeit stimmte er sofort zu. »Großartige Idee. Das ist die einzig
richtige Lösung. Außerdem braucht Dawn ja nichts weiter zu tun, als Mrs. Hill zu versorgen und ab und zu mal ein Auge auf die
Kinder zu werfen. Hill wird bestimmt eine Menge helfen. Es würde dir doch
nichts ausmachen, mal eine Woche oder so hinüberzugehen, Dawn?«
Was sollte Dawn sagen? Ich sah
ihr erschrockenes Gesicht, und sie tat mir aufrichtig leid. Ein so gepflegtes,
verwöhntes Großstadtmädchen, das nicht die geringste Voraussetzung für den
harten Ernst einer solchen Situation mitbrachte — und nun plötzlich dies! Für
keine von uns eine leichte Aufgabe, aber für Dawn mußte sie gleichbedeutend mit
dem Fegefeuer sein.
Wenn Paul nicht gewesen und sie
so vertrauensvoll angeblickt hätte, würde Dawn sich glatt geweigert haben.
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