Mitte der Welt
starrten sich an; nur die Zahlen, die kannten sie alle sofort.
Heute ist es still geworden unten in Karaköy. Heute werden die Geschäfte drüben getätigt, in Aksaray, Lâleli und so weiter. Straff organisierte russische, polnische, rumänische Händlerringe, die den Riesenmarkt fest in Händen halten. Und die Frauen, auch sie sind professioneller geworden; heute sind es sehr junge Frauen, die Töchtergeneration derer, die anfangs kamen. Lachend und schnatternd ziehen sie durch die Stadt, sprechen gut Türkisch und treten selbstbewusst auf. Inzwischen gehören auch sie zu Istanbul. Und: Auch sie haben ihren Namen – so wie in Deutschland jeder Türke ein Ali ist, so ist hier, heißt es, jede Russin eine Nataşa.
Drei der Frauen, mit denen ich verabredet bin, kommen die Treppe herauf; zufällig seien sie sich auf der Straße begegnet. Sie ziehen ihre Jacken von den Schultern, hängen sie über die Stuhllehnen, setzen sich, bieten Zigaretten an und tauschen Neuigkeiten aus. Nur Alev, die schöne rothaarige Verlegerin, fehlt noch. Ich höre zu, was die Frauen an meinem Tisch zu erzählen haben aus ihren sehr verschieden selbständigen Leben, aber: Mit einem Ohr und einem Auge hänge ich weiter am Nebentisch. Dass auch mich die beiden Geschöpfe dort nicht loslassen, irritiert mich.
Aber nun sehe ich einen zunderroten Haarschopf – Alev! Hinter zwei Herren kommt sie die Treppe hoch.
In unserer montäglichen Mittagsrunde fehlt sie oft, da sie viel unterwegs ist für ihr ambitioniertes Verlagsprogramm, in Amerika oder in Europa, manchmal in Russland.
Als sie sich gesetzt hat, erkundige ich mich, ob sie schon genauere Vorstellungen entwickelt habe zu dem Buch, das sie machen will. Sie wolle ein Buch machen über den Wahnsinn Ehe, sagte sie neulich, dass sie aber wohl selbst noch zu tief drinstecke, ein paar Jahre müsse sie vielleicht noch warten damit; immerhin, sie mache sich fast täglich Notizen.
Ob sie glaube, über Ehe zu schreiben sei möglich ohne Kampfansage und Schuldzuweisung, frage ich.
Ihr sphinxhaftes Lächeln als Antwort.
Einmal sagte sie: Wir Frauen müssen uns unüberhörbar zu Wort melden, mit unseren eigenen Worten, mit unseren Bildern, unseren Assoziationen, unseren Schlüssen, wir müssen unsere eigene Sprache erfinden. Worüber wir sprechen und schreiben ist, sagte sie, beinahe egal, wichtig sei einzig, dass wir es in unserer Sprache tun, aus unserer Sicht, dass wir uns sichtbar machen, lesbar, hörbar.
Willst du Ehe als Hölle vorführen oder ganz und gar ad absurdum, oder in welche Richtung denkst du?
Ach, sehr viel weiter bin ich noch nicht, sagt sie, noch immer mit ihrem Zauberlächeln, aber wie kommst du denn voran?
Ich sei unsicher, ob ich an der ursprünglichen Fragestellung, mit der ich nach Istanbul kam, festhalten solle, sage ich, und während ich erzähle, wie diese zu verändern mir möglich scheine, sehe ich am Nebentisch: Über die Gesichter der beiden Herren, die sich zu den jungen Frauen gesetzt haben, turnt ein grausiges Grinsen; und die jungen Frauen, trotz aller Erfahrung, die sie wohl haben mit solchen Männern, halten sich mit kleinen, heimlichen Blicken, die sie sich zuzwinkern, aneinander fest. Plötzlich tun sie mir leid, diese jungen hübschen Frauen, die so lustig mit türkischen Brocken um sich werfen, wild entschlossen zu tun, wofür sie hier sind, und lachen zu allem, was die Herren erzählen; wobei ich nicht sicher bin, ob sie alles verstehen und ob es wirklich nur zum Lachen ist. Aber sie lachen, als ob sie sich einheizten mit ihrem Lachen. Und die Herren in ihren prall sitzenden Anzügen mit Schlips und Kragen und mit dem Grinsen in ihren Visagen machen sich breit und breiter mit ihren sonoren Stimmen und reden, als ob sie wer weiß wer wären. Das Dilettantische, das Verlogene, das Verschämte trotz aller zur Schau gestellten schamlosen Selbstsicherheit, es macht mich wütend. Und: dass auch ich immer wieder hinschaue.
Wieder reiße ich mich los und sehe Alevs fragenden Blick; und darin, was ich bis heute nicht bemerkt habe: grüne Einsprengsel in ihren goldbraunen Augen. Und wie erstaunlich hell ihre Haut ist, »schimmernder Alabaster«, fast durchscheinend an Schläfen und Brustansatz; und über Wangen und Arme goldgetupftes Sommersprossenfiligran.
Es ist zum Verzweifeln, sage ich, ich drehe die Sätze und die Wörter so lange hin und her, bis sie mir fast zerbröseln.
Ja, so ist es, sagt Alev und lacht. Mehr sagt sie nicht.
Als die Herren am
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