Mittelreich
einen Stangenzaun um sein Seegrundstück herum, als sei es eine Pferdekoppel, pflanzte eine Buchenhecke hin und ließ zwischen zwei Zaunpfosten einen Meter Abstand für das Gartentürl. Da hindurch gingen nun jeden Morgen die Sommergäste des Hauses mit ihren Liegen und Handtüchern, ihren Kindern und Pudeln, ihren Euphorien und Depressionen und bewachten dieses neu entstandene Refugium so selbstgerecht und bissig gegen jeden fremden Eindringling, wie kein Hofhund es besser hingekriegt hätte: als wäre es ihr eigenes Hab und Gut.
Auch die anderen Seeufergrundstücke am Ort wurden nach und nach zur Straße hin mit Zäunen und Hecken verrammelt, denn der Besucherverkehr nahm zu, aber die Uferplät ze nicht. An den Wochenenden kamen die Leute mit dem Bus oder dem Dampfer, manche auch schon mit ihrem neuen Auto, aus der Stadt heraus aufs Land und suchten einen Zugang zum See. Außerhalb des Dorfes jedoch wucherte am Ufer entlang noch überall die unberührte Wildnis, ungerodet und brach, die das Begehen erschwerte und zum Liegen in der Sonne nicht einlud. So entstand an heißen Sommertagen ein großes Gedränge im Ort, und Anwohner und Tagesausflügler, die fast alle Picknickkörbe dabeihatten und dicke Wolldecken zum Draufliegen und keinerlei Anzeichen zeigten, in ein Gasthaus einkehren zu wollen oder in einem der drei Kramerläden einzukaufen, standen einander bald mit aggressivem Misstrauen gegenüber. Denn viele der Ausflügler, die wie die Schafherden im Frühjahr auf der Suche nach einer Weide im Sommer als Menschenherde auf der Suche nach einem Badeplatz durchs Dorf zogen, überkletterten nach einiger Zeit einfach entnervt einen Zaun und machten sich auf dem leeren Grundstück breit. Wenn dann der Besitzer kam und die Eindringlinge zum Verlassen seines Grundstücks aufforderte, gab es nicht selten gefährliche Begegnungen. Da sagte dann der Eindringling zum Grundbesitzer: Du musst mich schon hinaustragen, weil von allein geh ich nicht. Der See ist für alle da. Darauf sagte der Grundbesitzer, so er ein Bauer war – und meistens war er ein Bauer, denn die hereingeschmeckten Villenbesitzer, die sich mit ihrem fetten Geld in das Dorf eingekauft hatten und nun niemand anderen mehr neben sich dulden wollten, die hatten sich von Anfang an teure und hohe Staketenzäune um ihren Besitz herum bauen lassen, die so unüberwindbar waren wie sonst nur noch die neu gebaute Mauer in Berlin –, sagte also der Bauer zu dem renitenten Städter: Anlangen tu ich dich nicht, da brauchst keine Angst haben, weil da käme mir ja das Grausen. Aber wir haben hier heraußen andere Mittel – und ging dann hinauf zur Odelgrube und schöpfte heraus einen Kübel voll Jauche, trug den hinunter zum See und vergoss den Inhalt vorsichtig und gleichmäßig rund um die Liegestatt der Eindringlinge. Den sich ausbreitenden Gestank hielt oft der stärkste Städter nicht aus und räumte schließlich seinen Platz, jedoch oft erst nach einem körperlichen Gerangel unter lautem Rufen nach der Polizei. Die war aber damals auf dem Land noch rar, und der Seetaler allein konnte auch nicht überall gleichzeitig sein. Er wollte auch gar nicht. Dieses Eigentumsgetue ging ihm gehörig auf den Sack. Also stellte er sich meistens tot oder zumindest überfordert.
So war das am Anfang. Ganz natürlich noch.
Der eine oder andere Seegrundbesitzer aber erkannte instinktiv das brachliegende Potential, das interessante Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, das durch den Schutz privaten Eigentums an Seegrundstücken auf der einen und dem fordernden Freizeitgebaren der Städter auf der anderen Seite entstanden war, und hängte ein Schild an sein Gartentürl hin, auf das er vorher geschrieben hatte: Baden erlaubt. Sonnenbaden auch. Oben ohne verboten. Unten rum auch. Eintritt 1 Mark.
Und ganz allmählich kam ein Ausgleich zustande zwischen dem Besitzanspruch der Eigentümer und dem Erholungsbedürfnis der Ausflügler. Beide Seiten begannen, sich wieder zu vertragen, und keiner rief mehr nach der Polizei, denn den Staat wollte niemand dabeihaben.
Ein Eintrittsbillettl können Sie schon haben, sagte der Badeplatzvermieter zum Badegast, wenn der nach einem Beleg verlangte, aber dann kostet es halt das Doppelte.
Und schnell war man sich wieder einig. Am Nachmittag kam dann die Badeplatzbesitzersgattin mit einem großen Tablett voll mit selbstgebackenen Kuchen und frisch aufgebrühtem Kaffee hinunter zum See und stellte alles auf der Seebank ab. Und wer jetzt
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