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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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einem wachsenden gegenseitigen Unverständnis geprägt war. Nichts mehr von dem, was den Alten einst heilig gewesen war und wofür sie bereit waren, sich ins eigene Verderben zu stürzen, fand die geringste Anerkennung bei den Jungen. Und nichts, woran diese sich aufrichteten und festigten, um ja nicht so zu werden, wie die Alten waren, fand auch nur den Hauch von Verständnis bei den Alten. Sie seien verführt und beeinflusst von den verhassten Siegermächten, sagten die Alten über die Jungen, und sie, die Alten, seien unfähig, sich noch einmal zu ändern und den gewesenen, überkommenen und als verbrecherisch erkannten Idealen abzuschwören, war das vernichtende Urteil der Jungen über die Alten. Nichts mehr von dem schien zusammenzupassen, was einst aus einander hervorgegangen und ein Volk gewesen war.
     
    Am Ufer des Sees konnte man jetzt in den Sommermonaten immer öfter Pärchen beobachten, die in Gruppen um offene Feuer herum saßen und Blumengirlanden auf den Köpfen trugen. Die Männer hatten lange Haare und wuchernde Bärte, ihre langen Hemden trugen sie über den Hosen, und Männer wie Frauen rauchten in einem fort tütenähnliche Zigaretten, die sie beidhändig vor den Mund hielten, um in tiefen Zügen daran zu nuckeln und dann weiterzureichen an den Nächsten. Die Mädchen waren gekleidet in sackähnliche Pluderhosen in den verschiedensten Farben, wobei Rosa und Lila überwog. Ihre Haare waren zerzaust und fettig, da sie aber kurz geschnitten waren, war dem eine größere Auffälligkeit gegeben als der ihnen anhaftenden mangelnden Pflege. Rauchten sie mal nicht, dann lagen sie oft auf- und übereinander oder ineinander verschlungen und küssten und befummelten sich in einem fort. Gingen sie zum Baden in den See, dann entledigten sie sich sämtlicher Kleider, sogar die Frauen, und setzten auch dort noch, im tiefen Wasser, ihr Treiben fort. Wenn der Seewirt dann auf Drängen seiner fassungslosen Schwestern und der entrüsteten Sommergäste nach unten zum Ufer ging und darauf hinwies, dass es sich hier um ein privates Grundstück handle, auf dem solches nicht gestattet sei, und man deshalb diesen Ort auf der Stelle verlassen möge, da ansonsten die Polizei gerufen werden müsse, um die Ordnung wiederherzustellen, dann sagten diese Menschen: Okay, okay, is ja gut, Alter. Bleib cool – und wechselten danach lediglich aufs Nachbargrundstück, um dort genauso weiterzumachen. Wenn sie nach einiger Zeit auch von dort wieder vertrieben wurden, kehrten sie einfach wieder auf den alten Platz zurück und entzündeten von Neuem ein Feuer. Sobald aber der Seewirt genervt in der Polizeistation anrief, bekam er vom Wachtmeister Seetaler zu hören, dass ein polizeilicher Zugriff nicht möglich sei, solange keine Straftat vorläge.
    Aber die treiben ihre Unzucht doch auf meinem Grund, erregte sich dann der Seewirt. Ich hab die ja nicht eingeladen. Und keiner von denen hat vorher auch nur mit einem Wort um Erlaubnis gefragt. Heißt Demokratie etwa, dass mein Seegrund jetzt allen gehört, Herr Gendarm? Das ist aber keine Demokratie, das ist der Kommunismus!
    Ja schon, antwortete dann der Seetaler, schon, schon! Aber erstens ist das Grundstück nicht eingezäunt, und zweitens muss, laut bayrischer Seeordnung, jeder bayrische See zugänglich sein, immer und überall. Und solange die nicht miteinander kopulieren in der Öffentlichkeit – also stopfen auf Deutsch –, ist das auch keine Erregung öffentlichen Ärger nisses. Wenn Sie die aber mal beim Schnackseln erwischen, dann rufen Sie rechtzeitig an! Dann lässt sich vielleicht was machen. Aber bis wir da sind, sind die wahrscheinlich schon wieder fertig, hat der schon lang abgespritzt. Die sind ja alle noch jung.
    Er wirkte ziemlich genervt, der Seetaler. Und das wiederum nervte den Seewirt.
    Und wo bleibt das Eigentumsrecht?, schrie er wütend ins Telefon.
    Ja, das Eigentum! Das Eigentum!, spöttelte dann gelangweilt der Seetaler, der nämlich außer der grünen Uniform und einem alten Moped nicht sehr viel mehr besaß, das Eigentum! Ha! Das Eigentum verpflichtet!, sagte er schließlich, wie nach langem Nachdenken beamtenklug – dabei wusste er es auswendig –, das steht auch im Grundgesetz, sagte er. Aber ist ja wurscht! Auf jeden Fall muss erst einmal ein Zaun hin. Vorher können wir da gar nix machen.
    Das war’s dann. Von Haschbrüdern hatte man damals noch nichts gehört, so weit weg von der Stadt, dem eigenen Ufer so nah.
    Also baute der Seewirt notgedrungen

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