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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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sich minderwertig in seinem gebrauchten Trachtenanzug. Den hatte er vor ein paar Jahren von einem Pfandleiher erhandelt und heute extra angezogen, um den abschätzigen Blicken zu entgehen, die er jetzt doch einfangen musste. Er spürte die naserümpfende Draufsicht des anderen auf seine pappigen Haare, die er sich zu Hause mit Wasser und Pomade noch schnell nach hinten gekämmt hatte, um die lichten Stellen auf dem Hinterkopf wenigstens zu besträhnen. Die Haare spannten auf der Kopfhaut fest und ungemütlich wie ein Stahlhelm.
    Wie komm ich jetzt auf Stahlhelm?, fragte er sich. Wenn der Helm mal feste auf dem Kopfe saß, entkam man nicht mehr, gab er sich zur Antwort. Dem Einsatz nicht entkam man, und schon gar nicht mehr der eigenen Angst. Der Helm verhinderte die Fahnenflucht. Und auch die Unteroffiziere hatten diesen lauernd hohlen Blick, wenn sie sich die Leute für die Himmelfahrtskommandos suchten. Er blieb nach außen völlig ruhig, wenn sie ihn für todgeweihte Voraustrupps für zu wenig inspiriert und viel zu feige hielten. Da fühlte er sich bloßgestellt und nahm es fatalistisch hin. Er begehrte niemals auf. Er wusste nie, was er hätte sagen sollen. Unterm Helm drin blieb er stumm. Der Helm war das grundsätzliche Ja zum Befehl. Der Helm war über die Entscheidungsfreiheit gestülpt wie der Glaube über das Denken. Dem Russen musste man eins auf die Fresse geben, das war schon richtig. Aber das Militär! Das Militär war nichts für ihn. Da war nichts zu machen. Andere konnten das besser.
    Stumm starrte er den arroganten Anzug an. Stumm und voller Hass. Trotzdem hab ich müssen mein Leben aufs Spiel setzen, auch für diesen gewichsten Bengel da, dachte er, auch wenn der damals ist erst ein paar Monate alt gewesen, damit er mich jetzt kann anschauen wie den letzten Dreck. Blähungen begannen ihn zu plagen. Ein Furz rollte durch die Eingeweide bis zum Ausgang hin und wieder zurück. Das wiederholte sich. Wie gerne hätte er ihn hinausgelassen! Aber diesen Trumpf wollte er dem anderen nicht geben. Ich werde ihm müssen meinen Gestank nicht mit einem Furz unter die Nase reiben, sondern mit klaren Worten in seine Ohren, dachte Viktor.
    Und auf einmal konnte er reden.
    Wir waren vor über zwanzig Jahren verabredet, sagte er. Warum lassen Sie mich so lang warten?
    Vor über zwanzig Jahren war ich um diese Zeit als Spermie im Hodensack des Vaters, sagte der Anzug schlagfertig und eiskalt.
    Prompt war Viktor wieder aus dem Konzept. Er hatte tatsächlich zwanzig Jahre gesagt und zwanzig Minuten sagen wollen. Seine Gedanken waren abgedriftet und hatten sich im Sprachgefühl verheddert.
    Natürlich hab ich wollen sagen zwanzig Minuten. Das ändert doch nichts daran, dass Sie mich haben warten lassen.
    Entschuldigung!, sagte der andere und spielte ein bisschen Überraschung. Dann kramte er nach vorgestanzten Worten: Das Interesse für die Dienstleistungen unserer Bank ist glücklicherweise so ausgeprägt, dass ich auch noch andere Kunden zu betreuen habe. Sie sind, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Gott sei Dank nicht der einzige Kunde.
    Und Ihre Bank ist Gott sei Dank nicht die einzige Bank, um mein Geld anzulegen. Sie haben wohl vergessen, dass das Geld, das Sie verwalten, das Geld Ihrer Kunden ist.
    Nein, hab ich nicht vergessen. Das weiß ich.
    Sie wissen also, dass wir über Geld reden, das nicht Ihres ist?
    Wie meinen Sie das, Herr Hanusch.
    Sie schauen mich so an, als ob ich Ihnen wäre etwas schuldig.
    Pardon! Tu ich das? Dann wäre das ein Vorgriff. Entschuldigung.
    Ich entschuldige Ihnen nichts und werde Ihnen nie was schulden. Aber Sie möchten mir jetzt gefälligst geben Rechenschaft über mein Geld, das ich bei Ihnen hab angelegt. Das nämlich schulden Sie mir. Und dafür bitte ich mir von Ihnen Respekt aus. Verstehen Sie? Sie verdienen nämlich mit meinem Geld. Aber Sie schauen mich an, so mit Hochnäsigkeit und Herablassung, als ob das Geld, das Sie verwalten, möchte das Ihre sein. Ich frag mich, ob Sie überhaupt der Aufgabe gewachsen sind, die Ihnen ist anvertraut, wenn Sie sich einbilden, mit so angeberischer Art Vertrauen schaffen zu können. Möchte ja sein, dass Sie in Geldangelegenheiten genauso irren. Was dann?
    Der Viktor hatte jetzt einen ziemlich roten Kopf auf, und der andere war jetzt ein wenig käsig geworden. Damit hatte er nämlich nicht gerechnet, der andere, dass so ein ungepflegter Patron, wie es Viktor in seinen Augen war, ihn mit solchen Sätzen in Verlegenheit bringen könnte.

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