Mittelreich
Raiffeisenbank. Dort zählte er vor des Viktors Augen auf den Pfennig genau dessen gesamte Ersparnisse von einem Geldsack in den anderen. Er endete bei 128524 Deutschen Mark. Diese wurden nun eingetauscht in mehrere unterschiedlich große Goldriegel und als solche wieder im Tresor in einem eigenen Fach verstaut. Reich war der Viktor dadurch nicht, das wusste er genau, aber ein Hungerleider war er auch nicht mehr. Er war jetzt mittelreich. Damit konnte er gut leben.
So wurde im Monat Mai des Jahres 1967 aus des Viktors fast 130000 ersparten Deutschen Mark pures Gold, und aus des Anzugträgers Herr Huber alter Beschäftigung bei der Bank in Seestadt wurde eine neue bei der Baufirma Schmelzer in Senkendorf, wo er als Schreibergeselle anfing – aber erst nachdem er zuvor mehrere Monate auf dem Arbeitsamt in der Kreisstadt arbeitslos gemeldet und ein wenig umgeschult worden war.
Es gab wieder Arbeitsämter im Land, die florierten, denn auch die Wirtschaft florierte wieder – bei den in Lohnarbeit stehenden Menschen musste mit kleinen Dämpfern zu viel Mutwille ein wenig reguliert und zu viel aufkommende Euphorie wieder etwas heruntergedimmt werden. Nicht zu viel, aber ein bisschen eben.
Gute Dienste leisteten dabei ungewollt ein paar Studenten, die der beinahe aussichtslosen Hoffnung nachgegangen waren, an den Festen einer in ihren Augen disqualifizierten Gesellschaft rütteln zu dürfen.
Beim Holzwirt in Kirchgrub droben saß an einem helllichten Werktag, unangekränkelt von irgendwelchen Selbstzweifeln, mittendrin unter den Stammtischlern – die teilweise schon im Austrag waren, zum Teil aber auch arbeitslos, weil sie we gen ihres Alters oder wegen chronischer körperlicher Beschwerden oder auch aufgrund irreversibler Alkoholsucht die volle Leistungsfähigkeit nicht mehr erbringen konnten – der Gastwirt und Zugehmetzger Zuber Storch und führte da das große Wort. Das Mittagläuten vom Kirchgruber Kirchberg herüber war bereits wieder verklungen, und der Zuber Storch sollte eigentlich schon seit zehn Uhr beim Seewirt in Seedorf unten die mit 100 Kilogramm Lebendgewicht fertig gemästete und schon in die Steige zum Hinaustragen verfrachtete Sau schlachten – so war es jedenfalls mit dem Seewirt seit vierzehn Tagen ausgemacht –, hatte sich aber an diesem Tag beim Frühschoppen, mit dem er, wenn er zum Schlachten ausrückte, seinen Arbeitstag beginnen ließ, derart festgesessen, dass es noch lange nicht so aussah, als ob er bald aufbrechen würde. Zweimal schon war beim Holzwirt angerufen worden, und zweimal schon hatte der Holzwirt dem anrufenden Seewirt gegenüber den Zuber Storch verleugnet: Dass der hier bei ihm in der Gaststube heute noch nicht aufgetaucht sei und dass er ihn aber selbstverständlich, sollte er demnächst noch vorbeikommen, an die Verabredung erinnern und gleich losschicken werde nach Seedorf hinunter. Wenn der Seewirt noch ein drittes Mal anruft, hatte der Holzwirt nach dem zweiten Anruf zum Storch gesagt, und du immer noch da hockst, dann werde ich nicht mehr lang herumreden, dann hol ich dich ans Telefon, und wenn es sein muss mit dem Flaschenzug.
Ja, das ist gut, das machst, hatte der Zuber geantwortet, den nehm ich dann gleich mit, den Flaschenzug, dem Seewirt seiner taugt nichts mehr, weil der ist noch vom Ersten Weltkrieg; mit dem haben sie noch die Franzosen aus die Keller herausgezogen, wo die sich versteckt haben vor die Unsrigen vor lauter Hosenschiss. Aber eine hafergefutterte bayrische Sau kriegst du mit dem nicht mehr in die Höh.
Lautes, meckerndes Lachen der umsitzenden Bierdimpfel dankte ihm diesen formalpatriotischen Spruch.
Der Zuber war, wie immer, wenn ein paar zusammensaßen und ihm zuhörten, voll in seinem Element. Gerade war er dabei, breit vorzutragen, wie ungerecht doch seit einem halben Jahr sein Sohn, der ein Autogeschäft von seinem vorherigen, selbst kinderlos gebliebenen Chef geerbt hatte, vom zentralen VW -Konzern in Wolfsburg behandelt werde. Er, sein Sohn, müsse beim Verkauf eines Neuwagens diesen zuerst beim Generalverkäufer für Volkswagen, dem Autogroßhändler Brenner, einkaufen und könne ihn erst danach an seinen Kunden weiterverkaufen. Das heißt, sagte der Zuber bitter, der andere, der Brenner, der kassiert die Prämien für den Verkauf und meim Buben bleiben nur eine paar geschissenen Einnahmen aus dem Kundendienst und, wenn es hoch kommt, vielleicht nach Jahren mal, noch die eine oder andere Reparatur. Wisst ihr, was das ist?!,
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