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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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vielleicht in einem solchen weichen Stuhl gesessen haben, in der goldnen Kutsche drinne. Nur der König. Aber sonst!
    Einmal würde er sich eine solche Reise schon noch leisten.
    Er war sich seines Wertes für die Bank durchaus bewusst, als er kurz darauf das Institut betrat und nach dem Berater fragte, mit dem er sich vorher telefonisch abgesprochen und dabei einen festen Zeitpunkt ausgehandelt hatte. Man führte ihn einen langen Korridor entlang und bat ihn in ein kleines Zimmer, das mit zwei Stühlen und einem eichenholzfurnierten Tisch karg, aber sachlich eingerichtet war. Ob er einen Kaffee wünsche, fragte ihn die junge Dame. Nein, sagte er, er habe nicht viel Zeit, denn er sei auf den Bus angewiesen, der in einer Stunde zurückfahre. Und deshalb habe er mit dem Herrn Huber auch einen festen Zeitpunkt verein bart. Der Herr Huber werde hoffentlich jeden Moment erscheinen. Da wäre ein Überbrückungsgetränk überflüssig.
    Die Dame nickte und ging.
    Nun saß der Viktor alleine in dieser Bankkundeneinzugszelle und spürte zum ersten Mal, in einer überlangen Zeit des Wartens und ohne den nach und nach in ihm aufsteigenden Zorn begrifflich korrekt zuordnen zu können, die ihm bis dahin völlig unbekannte, absolute Wirklichkeit moderner Bankenperfidie.
    Er war vierzehn Jahre alt gewesen, als er seine Lehre bei der Bank begonnen hatte. Vierunddreißig war er, als er zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Er hatte also fünfundzwanzig Jahre lang in der Dresdner Bank in Kattowitz Erfahrungen gesammelt, war mit fast allen Wassern des Geschäfts und des Berufs gewaschen und hatte selbst nicht wenig Kunden übervorteilt – aber immer zugunsten der Bank, nie zu seinen eigenen Gunsten und nie zum nachhaltigen Schaden der Kundschaft. Das durfte er ruhigen Gewissens von sich und seiner ihm über alles gehenden Berufsehre behaupten. Er war kein Betrüger. Betrug war sowieso nur eine moralische Kategorie für ihn. Das hatte im Geschäftlichen nichts zu suchen. Moral war etwas Privates. Und einen Kunden zu übervorteilen war kein Betrug, das war Geschäft. Es kam darauf an, bei der Kreditvergabe die Klippe zu erahnen, an der der Kreditnehmer abstürzen und rückzahlungsunfähig sein würde. So weit durfte man nicht gehen. Ein zahlungsunfähiger Kunde war immer ein Schaden für die Bank. Und Schaden hatte er als guter Angestellter von der Bank abzuwenden. Aber bis zu dieser Klippe musste man den Kunden beim Aushandeln der Zinsen auf jeden Fall heranlocken. Nur so war für die Bank der größte Gewinn zu erzielen. Das war die Kunst der Beratung und des Verhandelns. Um aber so viel Kredite wie möglich gewinnbringend vergeben zu können, musste er bei den Verhandlungen flexibel sein und das Profil des Kunden genau aufschlüsseln. So hatte er seinen Beruf zuerst gelernt und schließlich begriffen und umgesetzt. Ja. Er war ein guter Banker gewesen. Ein sehr guter sogar. Und was immer höchste Priorität besessen hatte für ihn – denn auch das hatte er gelernt, und so war es früher üblich gewesen, auch bei allen anderen Mitarbeitern –, das waren Zuvorkommenheit und Respekt gegenüber den Kunden der Bank, ob sie nun über ein Guthaben verfügten oder über Schulden. Nie hätte er einen seiner Kunden länger als dem gesamtgeschäftlichen Ablauf unbedingt geschuldet warten lassen. Nie hätte er riskiert, dieserart in die Kritik zu geraten. Eine solche Missachtung, wie sie ihm jetzt gerade widerfuhr – er wartete bereits seit über fünfzehn Minuten in diesem kahlen und leeren Zimmer, eine solche Unverschämtheit hätte es zu seiner Zeit nicht gegeben. Viktor schaute in diesem Moment, ohne es zu wissen, aufgebracht und zu neuer Einsicht nicht mehr willens, in die anbrechende Zeit des Neoliberalismus.
    Gerade als er aufstehen und gehen wollte, weil er sich die Worte alle zurechtgelegt hatte, die er jetzt gleich in der Schalterhalle dem Geschäftsführer würde sagen müssen, betrat der Kundenberater das Zimmer.
    Ein nichtssagender grauer Anzug mit einer nichtssagenden blauen Krawatte um den unerklärlicherweise von keinen Würgemalen gezeichneten Hals, reicht mir mit einer nichtssagenden Höflichkeit herablassend die Hand und fordert mich mit nachlässiger Freundlichkeit auf, mich wieder zu setzen. Als wäre ich sein Nichts! Alles an diesem anlageberaterischen Gespenst ist nur der Ausdruck einer im schlecht verwalteten Größenwahn fehllaufenden Selbsteinschätzung. O mein Gott! – Wie sollte er da noch mithalten?
    Viktor fühlte

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