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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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die nun bereits im Trog lag, und begann es mit den Händen einzumassieren, bis der Zuber ihn wegstieß und anschrie, was er da mache, ob er übergeschnappt sei, man dürfe das Pech nur in kleinen Mengen auftragen, sonst ätze es die Haut des Tieres und mache das Selchfleisch unbrauchbar. In die Küche hinüber solle er sich schleichen und sich dort von seiner Mutter die Gewürze geben lassen, Pfeffer, Majoran und Salz und Muskatnuss, sie wisse schon, was gebraucht werde, das solle er bringen, denn da könne er nichts falsch machen, alles andere mache er, der Storch, lieber selber, wenn er, der junge Spund, nichts anderes könne, als zu pfuschen, und was denn überhaupt in ihn gefahren sei, dass er wie ein Wahnsinniger auf die Sau losgehe, die schon längst tot sei und empfindungslos in diesem Zustand. Wenn du eine alte Rechnung mit ihr hast, hättest du sie schinden müssen, als sie noch am Leben war. Jetzt spürt die nichts mehr. Was ist denn los mit dir?
    Aber da war Semi schon weg, lief den Hof hinauf zur Scheune und verschwand darin. Dort kroch er hinter eine alte Dreschmaschine, die in tiefer Dunkelheit ganz hinten auf dem Tennenboden stand, zwischen hohen Heuhaufstöcken, wo kein Tageslicht mehr hinkam und die Augen erst nach langem Eingewöhnen sich fürs dunkle Sehen eingerichtet hatten. Ein Ort, der ungestörten Aufenthalt versprach, weil er nicht mehr oder nur sehr selten noch gebraucht und daher auch nur selten noch begangen wurde. Dort setzte er sich auf den Boden nieder und versuchte, wieder Ruhe zu bekommen. Er keuchte schwer und atmete so aufgebracht, als ob er ein Rennen mitgelaufen wäre. Bilder stiegen auf, die er schon längst vergessen glaubte. Mehr! Er hatte sie so weit von sich geschoben und mit ihnen die Erniedrigungen, dass sie schon verschwunden waren, fast wie nie gesehen und geschehen. Jetzt aber reihten sie sich neu, wie zum ersten Mal geschaute Bilder eines bösen Traums, vor seinem innern Auge wieder auf, bis sie nach und nach, und das begriff er jetzt mit einem Schaudern, doch Erinnern waren und ihr bockiges Verharren im Gedächtnis auf gelebter Wirklichkeit beruhte.
     
    Er sah sich selber wieder auf den ausgetretenen und blank gescheuerten, Hunderte von Jahren alten Marmorplatten in der Mönchsfleischklause liegen, so nannten sie in diesen Jahren die klerikalen Wohn- und Folterzellen, gesehen mit dem Blick der auf den betonierten Schlachthausboden hingeworfnen Sau, statt des nackten Zuber in der Lederhose den nackten Mönch in seiner Kutte über sich, wie der, den einen Fuß auf seine Brust gesetzt, darunter mit der einen Hand den prallen, dunkelrot und blau gefärbten Seelenmörderschwanz massierte und mit der anderen die Kutte weit vom fett geweißten Fleisch des Körpers hielt. Wie das mörderische Schlachtbeil auf den Kopf der hingestreckten Sau, so klatschte dort das mönchlerische Sperma auf ihn nieder, auf Gesicht und Augen, auf den Mund, und machte ihn zum Abfall seines hilflos ausgesetzten Seins als Kind im klösterlichen Päderastenstall. Eine fürchterliche Wiederkehr!
    Hat es so sich wirklich zugetragen? Er wollte es nicht glauben. Doch musste er.
    Er schlug den Kopf ans Holzgehäuse des Maschinenkastens, seine Finger gruben sich in das gepresste Stroh und entrissen ihm den modrig, fauligen Gestank von schlecht geernteten Getreidegarben, der mischte sich mit dem Urin- und Schweißgeruch des ungewaschnen Mönchsgewandes aus der Moderkammer der Erinnerung – und alles fügte sich wie zu gehörig ineinander und wie unausweichlich und erdrückte ihn wie Gegenwart, die ewig währt. Würgend und verloren rutschte er am rostig braunen Stahlgehäuse der ausgedienten Selektionsmaschine auf den schweren Blankenboden nieder und blieb geschunden und gekrümmt im jahrzehntealten, zentimeterdick gehäuften Staub der väterlichen Scheune liegen. Heustaub, Rotz und Tränen vermengten sich zum Abglanz seiner Seele und schwärzten sein Gesicht.
    So kam er wieder an den Schlachtplatz.
     
    Bist du mit dem Gesicht in den Pfeffer hineingefallen, oder warum warst du so lang weg und schaust so scharf aus?, pöbelte ihn der Zuber an.
    Ich hab das Heu für die Abendfütterung herrichten müssen, belog er sich und ihn und wollte gleich wieder der Besorgung nachgehen, die ihm vom Zuber vorher aufgetragen war.
    Viktor, feinsinniger im Wesen als der am rohen Fleisch verrohte Zuber, sah des Jungen Kummer, ohne ihn zu kennen, und ahnte einen neuen Ausfall des fremden Seelenleids nur mit Befremden

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