Mittelreich
es später die Wirtin gegenüber der Polizei. Nach dem fünften Mal löste sich der Haufen auf. Die, die grad noch fast schon Männer und dabei doch auch noch wie die Kinder waren, waren nun so hoffnungslos besoffen wie die Alten.
Nur der Semi war klar, vollkommen klar wie das Wasser, das er in sich hineingeschüttet hatte, wankte aber mit den andern mit und mit ihnen zusammen hinaus in die Nacht.
Am nächsten Morgen, als man ihn zuerst vermisst und dann nach langem, unbeantwortet gebliebenem Klopfen an der Zellentür die Türe aufgebrochen hatte, fand man den Körper des Pater Ezechiel im ganzen Zimmer verteilt. Manche Stücke waren so klein gehackt wie Kesselfleisch. Andere waren als Ganzes vom Rumpf getrennt. Der Kopf stand, gestützt auf die Kinnbacken, augenlos auf dem Nachtkästchen, im Mund den abgeschnittenen Penis, zusammengeschrumpft zum knorpeligen Hautfetzen. Über das Haar, wie eine gewaltige Perücke, waren die Därme drapiert. Der Bauch des Paters war geöffnet und hohl wie ein Grab. Auf dem Boden des rücklings daliegenden Hohlkörpers, zwischen den Rippen, angelehnt an einen Klumpen Herz, fläzte wie eine auf Beute lauernde Kröte der Hodensack. In der rechten Schulter steckte das Messer. Es stank fürchterlich.
Das Messer stammte aus der Klosterküche. Es war das große Fleischmesser, das nur selten Verwendung fand. Fingerabdrücke waren keine drauf. Die Köchin war sich absolut sicher, dass das Messer, als sie die Küche um halb sieben am Abend, nachdem alles ab- und aufgeräumt war, verlassen hatte, noch im Messerregal an der Wand gesteckt hatte.
Der Täter hatte mit einem gewissen Fachkönnen präzise und schnell gearbeitet. Er schien die Tat nicht ausschweifend genossen zu haben. Von einem eher sachlichen Zerkleinerungsprozess des Opferkörpers muss ausgegangen werden. So stand es später im Obduktionsbericht.
Die Befragung durch die Polizei dauerte Wochen. Immer wieder gab es Verdachtsmomente gegen den einen oder anderen Schüler, auch Mönche gerieten in den engeren Verdächtigenkreis. Aber nach kurzer Zeit lösten sich sicher scheinende Beweise wieder auf ins unverwertbar Diffuse. Am unverdächtigsten waren bis zum Ende der Untersuchungen die Schüler, die am Abend der Tat im Auerkeller gezecht hatten. Die genaue Untersuchung des Todeszeitpunktes hatte ergeben, dass der Tod zwischen 23 Uhr und 23 . 30 Uhr eingetreten war. Also genau um die Zeit, als die Schüler gerade die letzte Runde bestellt hatten. Die Alkoholtests, die von der Polizei an den Schülern am anderen Tag vorgenommen wurden, hatten ergeben, dass aus der Menge des Restalkohols, den die Schüler noch im Blut hatten, geschlossen werden durfte, dass, rein motorisch gesehen, keiner von ihnen zu dieser Tat imstande gewesen wäre.
Im Laufe der Nachforschungen kam übrigens nach und nach ans Licht, dass der Pater sich an zahllosen Schülern vergangen hatte. Die Effizienz, mit der der Leichnam des Paters zerstört worden war, hatte die Kriminalisten in diese Richtung forschen lassen. Dabei kam auch heraus, dass unter den wenigen, die den missbräuchlichen Zugriffen des Paters entgangen waren, auch Semi war. Er wäre vom Pater nie belästigt worden, war seine glaubwürdige Aussage.
In dem langen, bunkerartigen Nordgang des Seewirtshauses, durch den man an der gasthäuslichen Herrentoilette und an den Knechte- und Mägdekammern vorbei in den landwirtschaftlichen Gebäudekomplex gelangte, hing in der Ecke, in der dieser Gang mit einem Neunziggradwinkel nach Norden hin abbog, wo er im Freien endete – deshalb hieß er der Nordgang –, viele Jahre lang, eingerahmt in ein kleines, holzgeschnitztes Viereck und handgeschrieben in deutscher Schrift, ein bäuerlicher Sinnspruch:
Dieses Täfelchen war so klein und hing so unauffällig in der Ecke, dass es von den Vorbeigehenden kaum bemerkt wurde. Wer diesen Spruch verfasst und aufgehängt hatte und wann, war nur gerüchteweise überliefert. Eine sichere Quelle dafür gab es nicht. Dem Gerücht nach verdächtig aber war die Alte Mare. Verdächtig im besten Sinn! Denn obwohl sie ihre Urheberschaft ein jedes Mal abstritt, wenn darüber gesprochen wurde, hielt sich doch hartnäckig die folgende Version: Dass zwischen den Weltkriegen vorübergehend ein Knecht im Seewirtshaus Anstellung fand, der wegen seines groben, ja geradezu hasserfüllten Umgangs mit den Tieren sehr bald wieder entlassen wurde, und dass, um diesem Menschen Einhalt zu gebieten, so das Gerücht, die
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