Mittelreich
steht der Zuber über der Sau. Mit leicht angewinkelten Armen hält er das Beil in den Händen, das stumpfe Ende mit dem Steckstift nah am Kopf des Tiers. Er ist ruhig und konzentriert und atmet gleichmäßig. So sieht unser Abt aus, wenn er in der Messe die Wandlung zelebriert, denkt Semi, des Seewirts Sohn.
Willst du nicht lieber den Schussapparat nehmen, fragt er schüchtern den Zuber.
Nix Schussapparat, antwortet der Storch leise und gedehnt. Ich möchte endlich mal wieder eine erschlagen. Und jetzt halt das Maul, damit sie sich nicht noch mal aufhebt.
Im kahlen Raum, der bis in Brusthöhe mit abwaschbarer blauer Ölfarbe gestrichen und darüber bis zur Decke hinauf weiß gekalkt ist, während die Decke überm Ofenrauchloch rußgeschwärzt wie ein drohendes Gewitter über den Köpfen der Sau und ihrer Schlächter hängt, herrscht eine bewegte Stille. Nur das leise, stoßweiße Grunzen der Sau, die nichts weiß und alles ahnt, ist zu hören und dringt wie ängstliches Fragen an die Ohren der Männer. Im Ofen prasselt das Holz aus den umliegenden Wäldern. In der Fassung des Betonrings vibriert der gusseiserne Deckel des Wurstkessels – wiederverwerteter Abfall eines misslungenen Glockengusses –, und darunter brodelt und kocht das Wasser aus dem hauseigenen Brunnen. Vorsichtig saugen die Männer die frische Atemluft durch die halb geöffneten Mäuler, vorsichtig lassen sie die verbrauchte wieder hinaus. In der Eingangstüre taucht das neugierige Gesicht vom Kater Mandi auf und wird allein vom Blick des Zuber wieder verscheucht.
Und wieder atmen sie durch: hinein ... und hinaus ... vorsichtig ... vorsichtig ...
Dann hält der Zuber den Atem an. – Stille.
Und nach einem langen Moment konzentrierter Atemlosigkeit zieht er mit gewaltigem Röcheln die Luft durch den weit geöffneten Mund in sich hinein, und wie ein Ballon bläht und richtet der mächtige Zuberkörper sich auf und hebt Arme und Hände mit dem rostfarbenen Beil darin hinterher, bis hoch hinauf in die Luft ...
Im selben Moment, als unten im See ein kapitaler Hecht nach vorne schnellt und sich den Weißfisch schnappt, den er gerade noch, steif wie ein vollgesogenes Stück Holz im Wasser liegend, angespannt belauert hat, stößt der Zuber mit einem pfeifenden Keuchen die Luft wieder hinaus und schlägt mit grimmiger Wucht zu.
Fressen und gefressen werden! Wer wagt es, darüber zu richten?
Leben und leben lassen! Wer ist dumm genug, daran zu glauben?
Wer leben will, muss töten. Wer es nicht tut, geht ein. Dem Zuber waren die klaren Gesetze des Lebens nie fremd. Wie hätten sie auch? Er war quasi im Schlachthaus aufgewachsen. Messer und Beil waren sein Spielzeug gewesen, der Bolzenschussapparat kam noch vor Pfeil und Bogen; wurde später seine fantasierte Armbrust; erlangte endlich den Kultstatus des ersten Schießgewehrs. Mit ihm vollzog er die Initiationsrituale des ehrbaren Kriegers und des freien Jägers, die beide heute nur noch Metzger sind. Tieren begegnete er immer erst kurz vor deren Tod. Wenn Liebe und Tod wirklich symbiotisch zueinandergehören, wie es die Dichter behaupten, dann waren Schweine Kühe Kälber seine wahren Geliebten. Er spürte jedes Mal, bevor er sie tötete, eine zärtliche Nähe zu ihnen. Er hatte einen demütigen Respekt vor ihrer Kreatürlichkeit, die ihm der seinen verwandt schien. Nur eine Beziehung zu ihnen hatte er nicht. Kaum waren sie tot, waren sie für ihn nur noch Material. Dieses aber zu bearbeiten, das war seine Kunst. Und seine Kunst war sein Stolz. Der Geschmack, den die Leber- und die Blutwürste, der schwarze und der weiße Presssack, die geräucherten Wammerl und Schinken hatten, war der Geschmack des Zuber. Man konnte diesen Geschmack mögen oder verabscheuen, aber er war immer der des Zuber, und der konnte klar unterschieden werden vom Geschmack jedes anderen Metzgermeisters. So entstand im Lauf der Jahre eine Zubergemeinde, die auf ihn und die Ergebnisse seiner Arbeit schwor und andere Fleischkreationen nur noch zur Not gelten ließ. Zur Not, das hieß: Wenn der Zuber grad nirgends geschlachtet hatte. Wo aber der Zuber geschlachtet hatte, da waren am anderen Tag die Gaststuben gefüllt mit Schlachtplattenessern.
Und er mittendrin. Denn der Zuber selber war nach Schlachttagen sein bester Gast. Und während er genießerisch die selbst gemachten Speisen kaute, dozierte er den Umsitzenden, was noch besser hätte gewürzt sein können.
Jetzt aber stand er, halb gebückt und reglos über der
Weitere Kostenlose Bücher