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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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steht das Blut bis unter die Haarwurzeln, wie er sie so reden hört. Und er ist froh, wie sie ans Klavier geht und es öffnet und der Moment da ist, vor dem er sich zuvor noch am meisten gefürchtet hat: das Vorsingen-Müssen. Die Kammersängerin sieht, dass seine Hände schön geformt sind, wie er sie jetzt auf die Abdeckung des Klaviers legt. Das hat er einmal beim Kammersänger Rhode gesehen, als der in der Kreisstadt im Pfarrsaal ein Konzert gegeben hat, mit deutschem Liedgut aus der Romantik. Der hatte zuerst auch beide Hände aufs Klavier gelegt und dann, als er anfing zu singen, eine Hand gelöst und sie sich in die Seite gestemmt. Die andere ließ er auf dem Klavier liegen. Das sah ziemlich gut aus, hatte der Pankraz noch in Erinnerung, als er sich in Gedanken vorbereitet hat auf dieses Vorsingen, und wie er sich hinstellen würde. – Sie sind mir ja das reinste Rätsel, sagt die Kammersängerin, da machen Sie die schwerste Arbeit, die man sich überhaupt vorstellen kann, und dann haben Sie so wunderschöne Hände. Zeigen Sie mal her! Und nimmt die eine von seinen Händen in die ihre und hält sie fest und schaut sie an. So schaut der Metzger das Kalb an, das er holen kommt zum Schlachten, denkt er, schaut so, um den Preis abzuschätzen. So sauunwohl gefühlt hat er sich schon lang nicht mehr. Eigentlich noch nie. Denn jetzt dreht sie seine Hand in ihrer auch noch hin und her und hebt sie an – um das Gewicht zu fühlen – lehrt sie ihn. Schwer wie die Pranke eines Löwen, urteilt sie und schaut ihn so leicht schräg von unten an, die Krauss, und schaut dabei so leicht aus, diese Pranke, wie die Zügel haltende Hand des Wagenlenkers in Delphi. Sagt die Krauss. Der Pankraz versteht nur Bahnhof. Wenn er den Schwindel, der jetzt in ihm aufkommt, jetzt, in dem Moment, wenn er den nicht gleich in den Griff kriegt, dann fällt er ihr genau in die Arme, denkt er. Verflucht noch mal! Diesen Schwindel hat er sonst nur, wenn er am Abend ein bisschen mehr getrunken hat und nachts aufwacht, vom Harndrang, und schnell hochkommt vom Bett und sich in den Ausguss vor der Tür im Hausgang draußen entleert. Da ist er auch schon einmal ohnmächtig zusammengefallen dabei. Aber im Moment des Aufpralls auf dem Fichtenholzboden ist er wieder aufgewacht. Da hat er mit seinem Bruder noch ein Schlafzimmer geteilt, damals, so dass der aufgewacht war vom dumpfen Schlag, den der Aufprall verursacht hat, und, als er ihn so hilflos auf dem Boden hocken sah, nur sagte: In dieser Haltung schiffen im abendländischen Kulturkreis eigentlich nur die Frauen. Auch der Bruder hatte die Mittelschule besucht und wusste immer mal wieder ein paar gebildete Überflüssigkeiten hochtrabend loszuwerden. Kultur! Immer schon kam er sich ganz unfertig vor in solchen Momenten, der Pankraz. Und ging dann ungerührt wieder ins Bett, der Bruder. Damals.
    So hilflos steht er jetzt vor der Kammersängerin, wie er damals vor seinem Bruder auf dem Boden gehockt war, denkt er, wie ein Depp. Leicht nach vorn gebeugt, die eine Hand nach unten hängend, die andere in den beiden Händen der Kammersängerin, und mit stierem Blick dem Schwindel wehrend. – Ja schaun Sie mich nicht so an! Sie sind wirklich ein sehr schöner Mann! Und damit lässt sie ihn los und lässt sich nieder auf dem Klavierhocker. Denn von einem normalen Hinsetzen kann keine Rede sein, wie sie sich da das lange Kleid unterschiebt, während sie den Hintern zwei-, dreimal über den Klavierstuhl kreisen lässt, bevor sie mit einem leichten Seufzer ihren Knien nachgibt und dann doch ziemlich ordinär hinunterplumpst, die letzten zehn Zentimeter bis zum Hocker, mit ihrer Gesäßhaftigkeit. Da aber ist dem Pankraz schon alles vergangen, was ganz am Anfang noch Ansporn zu sein versprach.
     
    Sie hat ihn dann mit großen Hoffnungen entlassen. Mit seiner Stimme sei sehr wohl was zu machen, aber das hätte sie ja schon an Ostern in der Kirche erkannt. Es hänge jetzt alles davon ab, ob er das überhaupt wolle und ob er überhaupt könne. Denn was anderes können Sie dann nicht mehr machen, hat sie gesagt. Wenn Sie Sänger werden wollen, dann erfordert das nicht nur den ganzen Mann, sondern auch Ihre ganze Zeit. Das müssen Sie unbedingt wissen, bevor Sie sich entscheiden. Und gerade billig wird es auch nicht werden. Obwohl man in Ihrem Fall vielleicht an ein Stipendium herankommen könnte. Möglicherweise an ein privates. Denn für Talente vom Land gibt es im Kulturbetrieb immer eine erhöhte

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