Mittelreich
trieb sie manchmal in die Sünde des Ungehorsams gegenüber dem leiblichen Vater.
An der neuen Mähmaschine war alles aus Eisen: von den beiden großen Rädern bis zur Deichsel. Und sogar der Fahrersitz war eine Schüssel aus purem Flacheisen, von Löchern durchsiebt, durch die das Regenwasser ablaufen konnte. So ein Gerät hatte man noch nicht gesehen: so ganz aus Eisen, ohne anderes Material! – das war neu.
Da muss ein Tank die Patentante abgegeben haben, sagte der Elf, der im Weltkrieg bis nach Cambrai in Frankreich gekommen und da Zeuge einer der ersten großen Panzerschlachten der Geschichte geworden war. Die Panzer oder Tanks, wie sie damals hießen, waren nämlich auch aus purem Eisen, wusste er.
Der junge Seewirt, der im letzten Herbst seinen 27 . Geburtstag mit einem Besuch der Oper Tristan und Isolde in der Hauptstadt gefeiert hatte und dem, anfangs ganz gegen seinen Willen, wegen des hirnkranken Bruders die Last des künftigen Hoferben aufgezwungen worden war, der spannte jetzt den Wallach und die Stute vor die neue Mähmaschi ne, setzte sich auf den durchschossnen Schalensitz und kutschierte das Gefährt in den Obstgarten hinauf, wo das erste Gras schon bis über die Knöchel reichte: Es war Anfang Mai 1934 , und alles, das ganze Land, stand im Saft. Er klappte den ein Meter zwanzig langen Mähbalken herunter, legte, so wie es ihm der Landmaschinenhändler Finsterle aus der Kreisstadt gezeigt hatte, bei dem er die neue Maschine mit dem großen Tafelwagen schon am frühen Vormittag abgeholt hatte, den Hebel für das große Zahnrad um, das die gleichmäßige Rollbewegung des rechten Rades über eine Kurbelwelle auf das lange Messer mit seinen fünfzehn Klingen übertrug, das nun zwischen den gefährlich spitzen Eisenzinken mit ratterndem Geräusch hin- und hergerissen wurde, sobald das Gefährt in Bewegung geriet. Zwei Spuren mähte er durch den blühenden Obstgarten, eine hinauf und eine herunter, und wie hingerichtet lag das Gras am Boden. Einer der Knechte holte einen Rechen und rechte ein paar Quadratmeter frei – und jetzt sahen alle, wie sauber der Schnitt erfolgt war. So kriegst du es mit einer Sense niemals hin, in so ein Gleichmaß!, rief der Alte Sepp, der beste Sensenmäher unter allen Knechten, der damals noch gar nicht so alt war, höchstens etwas über 50 , und das Rattern des Messers im Balken zwischen den eisernen Zinken klang wie ein böser Abgesang auf das Zeitalter der Sense: Die Zukunft gehörte der Maschine – da gab es nun keinen Zweifel mehr.
An Lichtmess im folgenden Jahr 35 wurden zwei Knechte ausgestellt. Sie waren überflüssig geworden. Und nur zum Durchfüttern, so sagte der alte Seewirt, behält man höchstens ein Ross, aber auch nur, wenn es ein langes und fleißiges Arbeitsleben hinter sich hat. Die beiden ausgestellten Knechte waren erst im letzten Jahr eingestanden, weil der neu eingesetzte Bürgermeister dem Seewirt nahegelegt hatte, die neuen Regierungsrichtlinien, wonach jeder größere Bauer noch mindestens eine Arbeitskraft einstellen solle, um die Produktion zu steigern und die Arbeitslosigkeit senken zu helfen, tunlichst nicht zu missachten. Die beiden gekündigten Knechte mussten nicht darben und fanden sofort wieder eine Anstellung beim Autobahnbau. Trotzdem brannten im Herbst 35 Stall und Scheune beim Seewirt. Dass es Brandstiftung war, stand nach den polizeilichen Untersuchungen amtlich fest. Wer der oder die Brandstifter waren, das wurde jedoch nie herausgefunden. Aber noch Jahre danach, wenn man ihn in einer entsprechenden Stimmungslage antraf, sagte der alte Seewirt zerknirscht: Ich hätte die beiden nicht sofort ausstellen dürfen. Damals noch nicht. Herrgott noch mal! Das hätte ich nicht tun dürfen. Das war ein Fehler.
Und trotzdem hatte mit dem Brand auch ihm die neue Zeit das Neue mitgebracht: eine neue Scheune! Durch und durch maschinengerecht, brauchbar bis weit über des alten Seewirts eigenes Menschenleben und sogar auch noch über die neue Zeit hinaus, als diese schon wieder zur alten geworden, zumindest so benannt worden war.
Am Ende des Sommers, genau gesagt: zum Herbstbeginn und mit dem Einbruch der Nacht, setzten die Brandstifter ihr Werk wirkungsmächtig in Szene. Die gesamte Ernte war eingefahren, Heu und Getreide stapelten sich bis unters Dach, Scheune und Stall brannten nach kurzer Zeit lichterloh. Taghell war alles erleuchtet, und doppelt so hoch wie im Obstgarten droben der alte Birnbaum hinaufragt, loderten die
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