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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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was passiert, wenn der erben würde? Weißt du das? Der würde alles den Kommunisten vermachen, sozialisieren heißt das bei denen, in sogenanntes Gemeinschaftseigentum würde der unseren ganzen Besitz überführen, und dann würde hier eine Kommune hausen und eine Kolchose bewirtschaften, eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft oder wie das heißt. So steht es nämlich.
    Red doch nicht so einen Schmarrn, schimpfte die Seewirtin zurück, so dumm ist der nicht. Der ist viel zu bodenständig für so soziale Sachen. Der will mehr Gerechtigkeit, deshalb geht er zu den Kommunisten. Das ist nichts Schlechtes. Du gehst ja auch andauernd in die Kirche und glaubst, das würde helfen.
    Ja wie gottlos redest du denn daher! Das ist ja unerhört! Sind wir jetzt schon so weit, dass die eigene Frau im eigenen Haus in meinen Ohren Gott lästern darf?, schrie der Seewirt und war so dunkelrot im Gesicht, wie das ausgelaufene Blut einer frisch gestochenen Sau im Blutwurstkübel.
    Ich habe Gott nicht gelästert, schrie jetzt auch die Seewirtin schon ziemlich unbeherrscht. Du verleumdest mich! Das würde ich nie tun. Ich habe nur gesagt, dass du andauernd in die Kirche rennst und vor lauter Bigotterie schon nicht mehr weißt, was du an den eigenen Kindern hast. Dann tu dich doch mit deinen Schwestern zusammen und gründe ein Kloster mit ihnen und spiel den Abt, wenn du schon glaubst, dass du nur so in den Himmel kommst. Aber lass mich und die Kinder doch damit in Frieden.
    Das Zerwürfnis zwischen den Eheleuten war perfekt. Die Seewirtin schlug die Tür zu und ging nach oben ins Eheschlafzimmer. Dort zog sie die eine Hälfte des Ehebetts ab und ging mit der Zudecke und einem Kopfkissen unterm Arm in das nächste Gästezimmer, bezog das Bett, löschte das Licht und legte sich schlafen. Immer wenn sie zornig war, schlief sie sofort ein.
    Der Seewirt blieb sitzen im hell erleuchteten Wohnzimmer, schob einen Fingernagel unter den anderen und kämpfte, wie immer wenn äußerste Gefühlserregung und vollständige Hirnleere bei ihm zusammenfanden, gegen das Schwarze unter seinen Nägeln an, begleitet von Grübeln und Seufzen bis zum Morgengrauen. Dann ging auch er ins Bett und wunderte sich nicht, dass die eine Hälfte leer war. Das ist die Zukunft, dachte er und schlief auch sofort ein.
     

     
    Mitten im Lied brach der Sänger ab. Dann bröckelte die Band weg. Binnen Minuten verwandelte sich die vorher aufgeheizte Atmosphäre in eine bewegte Stille. Verlassenheit, Hilflosigkeit, Ungewissheit. Gereckte Köpfe, offene Münder, aus denen kein Laut mehr kam, malten sie. Das ratlose Schweigen kroch bis in die hinteren Reihen. Jetzt erst war die Spannung in der Menge intensiv. Die hinten sahen das Transparent, das an zwei hölzernen Stangen aus der Menge heraus in die Luft geschoben wurde, konnten aber den Text nicht lesen, der nach vorn hin zur Tribüne sprach. Die vorne spürten nichts in ihrem Nacken, spürten nur die ungenutzten Mikrofone in ihren ungenutzten Ohren und hielten ihre Augen immer noch gespannt nach vorn gerichtet, statt die Köpfe umzudrehen und das Ungeheuerliche anzuschauen.
    Endlich griff der Sänger wieder nach dem Mikrofon, das verkniffene Gesicht verkniffener, hasenschartenartig, schüttelte das blonde Haar und ließ die hunderttausend auf zertretnem Gras mittendrin im Württemberger Ländle, darunter unsichtbar in ihren Silos hoch aufgerichtet die Raketen, wissen, dass er das Singen unter diesen Umständen beenden müsse. Das gehe zu weit.
    Und mit einem Male zeigte sich die Vielfalt dieser hundert tausend, die nicht nur bestand aus Gleichgesinnten, wie es die Gleichgesinnten gerne hätten, sondern auch aus Ungleichgesinnten, die Vielfalt bildend und somit den Querschnitt, den Machtpool jeder Masse, gleichzeitig ihre Ohnmacht. Geleitet von des Sängers Empörung drehten alle Gleichgesinnten endlich ihre Köpfe und lasen, was die Ungleichgesinnten von hinten her ihnen hinter ihre Ohren schrieben: LIEBER PERSHING II ALS PETER MAFFAY .
    Aus rotem Grund und schwarzer Schrift wächst wohl ein Gutes nicht.
    Dem Semi machte der Spruch auf dem Transparent Freude. Er glaubte nicht an Rock und Pop. Der Blues war ihm zuwider. Er fand sich nicht zurecht in diesen Rhythmen. Sein Gefühl blieb unberührt vom dumpfen Schlag der Bässe. Sein Pulsschlag nährte sich am hohen Klang der Klassik, die er studierte. Er ließ sich ausbilden in ihrem Gesang.
    Auf der Tribüne, die jetzt vom beleidigten Rockbarden geräumt und andern

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