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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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lassen durfte. Aber sie musste es ja auch nicht beschreiben oder unterrichten. Aber rechtfertigen musste sie es vielleicht hernach, wenn sie ihn jetzt sich selbst überließe. Zumindest vor sich musste sie sich rechtfertigen. Also musste sie ihm jetzt gerecht werden. Sowohl in seinem Sinn als auch in ihrem.
    Also, was willst du mir sagen?, fragte sie ihn.
     
    Ich habe in der letzten Zeit viel nachgedacht, begann der Seewirt seine Rede, ich habe viele Enttäuschungen erlebt in dieser Zeit, vor allem menschliche, und da kommt man zum Nachdenken. Zuerst einmal muss ich dir sagen, dass du nicht die Frau bist, die ich mir eigentlich gewünscht habe. Das habe ich begriffen und muss es jetzt einfach loswerden. Sonst kann ich es gleich bleiben lassen. Ich habe immer gedacht, du wärst die Frau meines Lebens, die mich versteht und meinen Gedanken folgen und meine Bedürfnisse befriedigen kann ... die sie mir erleichtern kann, all die Lasten, die dem Manne aufgetragen sind, verstehst du? Und lange hat es auch so ausgesehen, als ob du genau das alles in dir trügest und ausdrücktest und es könntest. Denn ich war dir blind ergeben. Aus Liebe. Und mit dieser Liebe habe ich auch unsere Kinder gezeugt und sie mit dieser Liebe bedacht, bei all der Verantwortung, die ich für sie übernommen habe – und auch für dich. Ich habe immer gedacht, wir wären diese eine Einheit, die im heiligen Sakrament der Ehe verheißen ist. Ich habe immer geglaubt, all die Jahre, die wir jetzt zusammen verheiratet sind, dass du diesem Versprechen der Ehe gerecht geworden wärst. Dass du dieses Versprechen erfüllt hättest. Aber ich habe mich getäuscht. Furchtbar getäuscht. An den Kindern, deinen Kindern, sehe ich das. Sie sind nicht so geworden, also sie haben sich nicht so entwickelt, dass an ihnen dieses Versprechen mir gegenüber eingelöst worden wäre. Ich empfinde das als Ehebruch deinerseits und als Missachtung des vierten Gebots durch die Kinder: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden! Und deshalb, weil du unsere heilige Ehe gebrochen hast und weil die Kinder die Gebote nicht mehr achten, fühle ich mich nicht mehr an euch gebunden und kündige Ehe und Vaterschaft auf. Ich kündige meine Ehe und meine väterliche Verantwortung gegenüber meinen Kindern auf. Ihr habt mein Vertrauen nicht mehr verdient. Glaube ja nicht, dass ich mir diese Entscheidung leichtgemacht habe. Ich habe viel nachgedacht, bevor ich dahin gekommen bin.
    Ich habe darüber nachgedacht, warum ich über so viel Besitz verfüge. Ich bin jetzt fast siebzig, und ich bin seit fast dreißig Jahren mit dir verheiratet und hier der Herr im Haus, wie man so sagt. Und ich merke immer öfter, wie kurz diese Zeit war, die ich schon lebe. Ich selbst hätte in dieser kurzen Lebenszeit nie diesen Reichtum anhäufen können, über den ich verfüge. Also muss da doch etwas nicht gebührend beachtet und geachtet worden sein. Ich weiß, dass ich durch Erbschaft zu diesem Reichtum gekommen bin. Aber ist das denn gerecht, wenn andere arm sind, nur weil sie nichts geerbt haben, und ich reich bin, weil ich geerbt habe? Dafür kann ich doch nichts, dass ich rein zufällig Erbe bin. Ist das vielleicht ein Verdienst? Nein! Aber es ist ein Recht! Aber was ist daran ge-recht? Diese Fragen quälen mich, seit ich sehen muss, dass die eigenen Kinder nicht mehr interessiert sind an dem Erbe, das ich ihnen anvertrauen müsste. Müsste! Weil ich eigentlich muss. Denn ich habe es ja auch nur übernommen. Da ich es aber nicht behalten kann, weil ich sterblich bin, muss ich es weitergeben. Das will ich aber nicht mehr. Und deshalb sage ich: müsste . Weil ich vom muss jetzt einen Ausweg gefunden habe hin zum müsste . Und den will ich dir jetzt erklären.
    Mir ist klar geworden, dass uns der ganze Besitz rechtmäßig nicht mehr zusteht. Zumindest nicht die Äcker und Wiesen. Die wurden unseren Vorfahren zur Verfügung gestellt, damit sie darauf frei wirtschaften konnten. Zur Verfügung gestellt von der Kirche und den Klöstern, denen bis dahin alles gehört hatte – bis zur Säkularisation. Wenn du nicht weißt, was das ist, dann musst du dich kundig machen. Ich habe jetzt nicht die Zeit und keine Lust, es dir zu erklären. Wenn aber nun keine Nachkommen mehr zu finden sind, die bereit sind, das Erbe seiner damaligen Bestimmung gemäß weiterzuführen, dann ist der Vertrag von damals hinfällig, und ein weiteres Beharren auf den Besitztitel wäre

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