Mittelreich
suchte.
Lasst uns Liebe machen, Liebe statt Krieg! Liebe!, sangen in orangefarbne Tücher eingehüllte Frauen, eingehakt bei orangefarben gekleideten Männern mit urfriedlichen Gesichtern, die dem Himmel näher schienen als dem Boden, der sie trug.
Kaffee von der Kooperative Farabundo Marti rief eine blasse Frau im Poncho, Kaffee aus kollektivem Anbau, von indigenen Menschen geerntet, ohne Ausbeutung durch den Handel, direkt von den Bauern, rief sie, die hinter einem dürren Klapptisch ihre Ware anbot.
Rund um das Transparent, das den blonden Sänger schmähte, war bald ein großes Zerren und Palavern ausgebrochen. Solche abgeschmackten Stänkereien gefährden ohne Not die Einheit dieser machtvollen Erregung, belehrte schon zum wiederholten Mal ein Funktionär der Knopflochnelkengleichgesinnten die stachelköpfigen Protestler. Nur gemeinsam gibt es gegen Macht und Machenschaft der Rüstungslobby eine Chance. Wenn jeder immer nur das tut, was er gerade gern tut, bleibt jeder immer wieder nur sich selber überlassen. Das aber ist gerade das, was die Geschäftemacher wollen. In diese Falle dürfen wir nicht tappen. Wir müssen uns zusammentun, mit einer Stimme sprechen. Wir brauchen solche Prominenten wie den Sänger, die verschaffen sich und uns Gehör bei all den jungen Menschen, die den Ernst der Lage noch immer nicht erkennen können. Die fühlen sich verhöhnt und ausgegrenzt aus unsrer Sache, wenn ihr sie mit solchen Späßen provoziert.
Jetzt mach ma halblang, Opa, krähte wie ein junger Hahn der junge Punk am Transparent mit pubertärer Stimmbruchstimme, wie kann ick denn mit dir mit eener Stimme quasseln, wenn de so gedrechselt textest, dass de dich schon selber gar nich mea vastehst. Det kann ick nich, vastehste, det is mia zu hoch. Ick will ne Sause haben mit die Bullen, weeste, det wegen bin ick da, nich wegen diese Fuck Atomraketen. Wenn de platt bist, biste platt. Dann spürste aber ooch nix mehr von dem scheiß abgefuckten Leben. Wat soll jetzt daran Scheiße sein?
Gerade davon red ich doch, antwortete ihm, neu munitioniert, der Opa von den roten Gleichgesinnten, dass wir uns zusammenfinden müssen, damit auch du so was wie eine Perspektive siehst. Du musst das Leben lieben lernen! Du darfst dich doch nicht selber – du musst deine Feinde hassen! Es reicht nicht, wenn du nur dagegen bist. Du musst vor allem auch für etwas sein. Dann kriegst du einen Sinn fürs Leben und ziehst dir nicht andauernd deine lebensmüden Junkiedepressionen ein.
Der Punk drückt jetzt, ganz ungeheuer lässig, die Tansparentenstange seinem Kumpel in die Hand, geht dann gefährlich langsam auf den Gleichgesinnten zu, hält, sehr nah an dessen Körper erst, sein Gehen an und spricht dann leise, ganz furchtbar leise, Bauch an Bauch dem andern nah: Weeste, Alter, sagt er, weeste och für wat ick bin? Dass de deine Fresse hältst, und zwar jetzt uff der Stelle! Du aufgeblasner Pfaffe. Wenn de Predigt halten willst, verpiss dich in de Kirche. Müll aber uns nich zu mit deinem klerikalen Kommunistenscheiß. Und ging dann, gefährlich langsam wieder, zum Maffaybashingtransparent zurück und hielt sich, ganz ungeheuer lässig, wieder daran fest.
Semi war während dieses Geplänkels ganz in der Nähe des Kommunistenführers gestanden, und konnte sehen, wie dieser innerlich kochte vor Wut, sich aber eisern diszipliniert beherrschte.
Alles braucht eben seine Zeit, sagte der Mann nach einer kurzen Pause leise. Auch das renkt sich ein. Spätestens im Umerziehungslager. Aber wer weiß? Vielleicht ist das ja der Ausdruck einer kreativen Energie. Auch wir müssen immer wieder alles neu bedenken, um die Ideen der Klassiker in ihrem Sinne umzusetzen. Wir haben keine andre Wahl. Es gab noch nie so eine Vielfalt im Widerstand gegen die Zumutungen des Kapitals. Diese Vielfalt mit Gewalt zu bündeln hieße ganz bestimmt, ihre Eingebungskraft und Kreativität zu schwächen. Wenn wir so was aber tun, schwächen wir den Geist des Widerstands. Ohne Geist irren die Körper willenlos herum und verkommen zu reiner Kreatürlichkeit. Das kann Sinn unserer Sache doch nicht sein. Wir brauchen jetzt ein neues Denken. Die kommunistische Doktrin muss auch die Bürgervielfalt einbeziehen. Wir brauchen jetzt mehr Marx als Lenin, doch ohne Lenin aufzugeben.
Dieses halb gemurmelte, halb vorgetragene Selbstgespräch des Kommunistenchefs hatte bei Semi einen verwirrend schiefen Eindruck hinterlassen. Woran sollte er sich jetzt noch halten? Den Begriff der
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