Mittelreich
Diebstahl. Da unsere Kinder nicht mehr bereit sind, diese Tradition fortzuführen, die über Generationen den Lebensunterhalt unserer Familie gesichert hat, dank der Güte der Kirche und der ihr angeschlossenen Klöster, die ihre Besitztümer damals großzügig hergegeben haben, ist es keine Geste der Moral, sondern eine des Rechttuns, der Verantwortung, wenn ich mein Besitztum wieder zurückgebe an die, denen es rechtmäßig immer gehört hat. Denn dass es damals überhaupt so weit kommen konnte, zu dieser Säkularisation, war genauso ein Werk von Aufrührern und Traditionsverächtern, von Gottlosen und Kirchenfeinden, wie es jetzt die sind, die unsere Kinder verführt und der Familie entrissen haben. Und ich sage das alles nicht, weil nur ich alleine glaube! Nein. Ich sage das alles, weil ich glaube, dass meine Vorfahren geglaubt haben . Das ist mein Glaube.
Ich werde deshalb meinen Besitz an Grundstücken zu gleichen Teilen der Kirche und dem Kloster Heuberg wieder zurückgeben, von denen unsere Vorfahren sie einst erhalten haben. Die sollen darüber verfügen, wie sie es für richtig halten. Mir steht dieses Recht nicht mehr zu. Das Haus mit ein wenig Umland soll euch bleiben, wenn ich tot bin. Bis dahin werde ich darüber wachen, dass es ein christliches Haus bleibt, zu dem der Antichrist keinen Zugang erhält.
An dieser Stelle entstand jetzt erst mal eine Pause.
Die Seewirtin sah aus, als ob sie von einem Huhn beraubt worden wäre. Das war einer ihrer geflügelten Aussprüche, den sie gebrauchte, wenn sie jemand gedankenverloren ins Leere starren sah: Du schaust ja aus, als ob dir die Henne das Brot weggefressen hätte!, sagte sie dann gern. Jetzt sah sie selber so aus. Es war aber nicht Gedankenlosigkeit, was sie so schauen ließ, es war äußerste Fassungslosigkeit. Wie geschwollen der redet, dachte sie, als ob er eine Predigt halten würde, so salbungsvoll, so gedrechselt. Sie hatte dem Mann zwar wortlos zugehört, aber sie konnte ihm nicht folgen. Von Anfang an nicht. Was sie da zu hören bekam, schien ihr in einer unbekannten Sprache vorgetragen, an deren Tonfall man zwar Gefühlsregungen des Sprechenden erkennen konnte, aber noch lange keine gedanklichen Zusammenhänge. Sie hatte gemerkt, dass da jemand vollkommen außer sich war, dies aber mit Ruhe und Sachlichkeit auszudrücken, vermutlich aber eher zu tarnen hoffte, weil es in ihm chaotisch brodelte und dampfte. Wie im Wurstkessel am Schlachttag, dachte sie. Und dieser jemand war aber kein Wurstkessel, sondern ihr Mann. Schon als er sich der falschen Wahl zieh dafür, dass er sie damals zur Frau genommen hatte, war ihr zwar der Kiefer heruntergeklappt, aber nicht, weil sie beleidigt war, sondern weil sie ihrem Mann ein solches Potential an Komik nicht zugetraut hatte. Komisch war für sie nur, was aus großer Verzweiflung heraus lustig wird, weil Ideal und Wirklichkeit miteinander nicht mehr können. Und so stand ihr Mann jetzt vor ihr: verzweifelt im Kampf mit sich selbst und gegen die Zeit und dadurch in der Wahl seiner Worte komisch, urkomisch.
... als ob du genau das alles in dir trügest und ausdrücktest und es könntest ..., sprach sie nach, und musste sich zwingen, es nicht laut herauszuprusten. ... ich glaube, dass meine Vorfahren geglaubt haben ... Und weißt du, was ich glaube?, fragte sie ihn, ich glaube, dass du depperte Schwammerl gegessen hast. Du willst deinen eigenen Kindern ihr Erbe streitig machen! Das kann doch nicht dein Ernst sein.
O doch, das ist mein Ernst. Und wie das mein Ernst ist! Ich habe auch mit dem Herrn Pfarrer schon darüber geredet. Der hat mich gelobt und gesagt, dass mein Vorhaben sehr christlich sei.
Ja natürlich sagt der das. Der muss das ja sagen, weil er ein bezahltes Mitglied von dem Verein ist, dem du den ganzen Besitz vermachen willst. Aber von mir kriegst du dafür keinen Segen. Das sag ich dir gleich. Diesen herrlichen bäuerlichen Besitz der Kirche vermachen! Ja bist du jetzt übergeschnappt?
Weißt du eigentlich, sagte der Seewirt jetzt erregt, dass der Semi Freunde bei den Kommunisten hat und immer zu deren Veranstaltungen geht und dort auftritt und Reden hält. Weißt du das?
Nein, das weiß ich nicht. Und wenn ich es wüsste, wäre mir das auch egal. Der ist jetzt alt genug, um selber zu wissen, was für ihn richtig ist und was nicht.
Was für ihn richtig ist, bestimmt der nicht mehr selber, schrie der Seewirt, das bestimmen andere, weil bei denen alle hirngewaschen sind. Weißt du,
Weitere Kostenlose Bücher