Mittelreich
Seewirt, sehr recht sogar. Aber wenn man schon so viel Glück hat, überhaupt eine Arbeit zu haben, dann ist es doch kommoder, wenn einem diese Arbeit auch noch gefällt. Oder meinen Sie nicht?
Kommoder?
Viktor, der vor einem Dreivierteljahr erst angekommen war, wusste die Leute hier noch nicht so richtig einzuschätzen. Ihm war sofort klar, als er die ersten Kontakte knüpfte, oder genauer gesagt: als die ersten Verbindungen durch die Besatzungsverwaltung hergestellt waren, dass hier einiges anders lief als da, wo er herkam. Und da er instinktiv wusste, dass er hier so schnell nicht mehr wegkommen würde, und schon gar nicht dahin, woher er gekommen war, musste jede Antwort gut überlegt sein, damit sie nicht nach hinten losginge. Das wusste er. Und wer wusste schon, was der Frager da ihm gegenüber im Schilde führte, als er ihn so fragte.
Kommod! Hm? – Ihm war die Mentalität der Leute hier noch ziemlich fremd, er konnte das alles nur schätzen, was da ablief, aber noch nicht einschätzen. Also war er vorsichtig.
Ich denke es so, sagte er, Arbeit ist Arbeit, man darf da nicht wählerisch sein. Hauptsache man hat sie, sagte er.
Aber was man hat, ist doch nicht immer auch gleich das, was man will, erwiderte der Seewirt, und war schon im Voraus begeistert über die Gerissenheit seines folgenden Gedankens: Macht es nicht einen Unterschied, ob man zum Beispiel Kartoffeln anbauen und ernten muss – oder ob man sie ihrer Bestimmung zuführt, indem man sie zubereitet für eine Mahlzeit?
Nu ja, sagte Viktor ...
Ich sag Ihnen was, fiel ihm aber der Wirt gleich wieder ins Wort und war jetzt nicht mehr zu bremsen, ich arbeite lieber auf dem Feld als in der Küche. Aber auch ich kann es mir nicht immer aussuchen. Ich bin Bauer und Wirt. Da muss ich beides können, und deshalb muss ich es irgendwie auch wollen. Also stellt sich die Frage bei mir gar nicht, ob ich etwas will: Da ich es habe, muss ich es wollen. Und da ich es wollen muss, muss ich es auch können. Aus-Äpfel. Das ist das Diktat des Besitzes. Und damit ist es mein Los. Mein Los ist der Besitz. Mich zwingt die Verantwortung für den Besitz ungefragt in ihren Dienst, ob Sie es glauben oder nicht. Und wer glaubt, auf diese Verantwortung pfeifen zu können, weil er sich nicht ausreichend getrieben fühlt, sie rücksichtslos umzusetzen, der hat schon verloren. Ich merk das an mir selber. Ich müsste viel härter durchgreifen. Denn ein Besitz ist zwar ein Privileg, aber ein Privileg ist nur dann eines, wenn man es ausquetscht wie einen Sklaven und hegt und zärtelt wie eine Braut. Sonst wird das Privileg nur zu einem Klotz am Bein. Also braucht es ein Talent zum Privileg. Das hat aber nicht ein jeder, der ein Privileg hat. Das ist das Verzwickte. Aber es ist auch das Nadelöhr, durch das man sich immer wieder zwängen muss, damit man auch als Besitzer in den Himmel kommt. Und der Besitzer ist nicht der, dem Verlust droht. Es sind seine Erben, denen das geerbte Vermögen unter lauter Auflagen und Vorschriften zerrinnt, verstehen Sie? Wie muss man es einfädeln, dass alles an die Erben fließt, die man sich für nach seinem Tod auserkoren hat, und nicht an den Staat? Ein wirklich Reicher kommt natürlich nicht ins Himmelreich. Sonst gäbe es ja keinen Glauben mehr. Aber wer ist schon so reich, dass er damit gemeint sein könnte. Ich nicht. Ich gehöre bestenfalls zu den Mittelreichen. Aber das Erbe, der Besitz, sollte so gut wie möglich als Ganzes durchs Nadelöhr gehen: in die Hände der nächsten Generation heißt das. Das Nadelöhr, Herr Hanusch, verstehen Sie, das sind die, die einem den Besitz neiden. Die einem das Leben schwermachen und den Besitz schmälern oder ganz nehmen wollen, selbst wenn man sie nahezu umsonst darin hausen lässt, so wie ich meine Flüchtlinge da oben. Ha! Verstehen Sie mich jetzt? Man muss sein Vermögen als Kamel tarnen, um es an den Neidern und am schlimmsten Räuber überhaupt, dem Staat, vorbeizubringen. Das möchte das Gleichnis sagen. Da Sie aber von alledem nicht belastet sind, weil Sie über Besitz nicht verfügen, spielt es bei Ihnen schon eine Rolle, ob Ihnen eine Arbeit gelegen kommt oder ob Sie sich dazu zwingen müssen. Und unter einem Dach, unabhängig vom Wetter, lässt es sich doch bequemer arbeiten als auf dem freien Feld, wo man andauernd durch Regen, Kälte oder Hitze von einem Extrem ins andere versetzt wird. Das wollte ich nur gesagt haben.
Ganz still hockte der Viktor vor dem mit Worten ums Verstehen
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