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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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zu weckendes Konsumbedürfnis, wogegen die Bewohner des nördlichen Teils des Schwarzenhauses als Vertreter einer zwar nicht zeitgenössischen, dafür aber überlieferten und somit geprüften und als haltbar erkannten klassischen Kunstauffassung gesehen werden durften. Die obere Etage des Gebäudes wurde von den Besitzerinnen, den beiden ledigen Töchtern des verstorbenen Seewirts, als privates Wohnrefugium in Reserve gehalten für den Fall, dass bei einer der beiden oder sogar bei beiden zusammen unverhofft das Glück doch noch einmal anklopfen und ein dann zu gründender Familienstand einen dementsprechenden und entsprechend geschützten Wohnraum erfordern sollte. Die beiden Schwestern bewohnten derweil weiterhin das Seewirtshaus, in das beide mehr als fünfzig Jahre zuvor hineingeboren worden waren und das beide deshalb als ihren rechtmäßig angestammten Hauptwohnsitz nicht in Frage gestellt sehen wollten – auch nicht von der Übernahme des Anwesens durch den jungen Seewirt und dem damit verbundenen Platzbegehren einer neuen, jungen Familie.
    Mit einem solchen Bollwerk alteingesessener weiblicher Übermacht hatte in diesen Jahren so manches bäuerliche Anwesen zurechtzukommen, und vielen Eingeheirateten, ob Frauen oder Männern, ging unter diesen zwar kriegsbedingten, aber erst nach dem Krieg wirkenden Zuständen sehr bald die Luft zum freien häuslichen Atmen aus, und sie sahen sich wieder in einen kriegsähnlichen Zustand versetzt und eingekreist von aggressiver Feindseligkeit, und mancher Jungbauer, der erst nach Jahren aus russischer Gefangenschaft heimgekehrt war, erzählte dann, beim gemeinsamen Mittagessen mit seiner jungen Familie und gemünzt auf seine da beisitzenden und mitessenden, weil übergebliebenen Schwestern, mit bösem Unterton von den Vorzügen einiger weniger, aber doch wenigstens gelegentlich vom Russen geschenkter ruhiger Minuten im ansonsten ebenfalls hart umkämpften Lebensraum im Kessel von Stalingrad.
     
    Im Seewirtshaus standen dem Seewirt neben seiner Frau, der Theresa vom Lothof in Eichenkam, die er nach seiner Entlassung aus dem Lazarett und der vollständigen Genesung im Herbst des Jahres 1945 geheiratet hatte, weiterhin auch seine Schwestern als Arbeitskräfte zur Verfügung. Als Entschädigung erhielten sie freie Kost und Logis, mehr nicht. So war es üblich. Das wenige an Bargeld, das sie benötigten, erwirtschafteten sie durch die Mieteinnahmen für ihr Haus.
    Auch die beiden Herren Probst und Brustmann und das Fräulein von Zwittau sowie die Großfamilie März waren nun zugehöriger Teil dieses Zusammenlebens geworden und hatten sich untereinander bereits zu einem guten gegenseitigen Auskommen zusammengefunden, als im Sommer 1946 , mit einer gewissen Verspätung, Viktor dazustieß, besser gesagt: hineinstolperte.
    Nach geglückter Desertion und Flucht war er im Herbst des letzten Kriegsjahres beim Gärtner Jäger untergekommen. Er hatte zwar nicht die geringste Ahnung vom Gartenbau, aber die war auch gar nicht gefragt. Gefragt war pure körperliche Arbeitskraft. Und weil davon in der einheimischen Bevölkerung nicht mehr viel vorhanden war, nahm sich der Jäger, wie die andern Wiederaufbauunternehmer auch, eben das jüngste an männlichem Muskelfleisch, was noch aufgetrieben werden konnte. Und das waren um diese Zeit hauptsächlich die 30 - bis 50 -jährigen Flüchtlinge aus den verlorengegangenen Ostgebieten des geschrumpften Reiches. So wie im Jahr 44 Einquartierungen der Ausgebombten durch die Reichsverwaltung verordnet wurden, so verordneten jetzt die Verwaltungsorgane der Besatzungsmächte die Einquartierung der Flüchtlinge. Und aus diesen rekrutierten die Bauern und andere Kleinunternehmer vorerst ihre Arbeitskräfte.
    Auch beim Seewirt war im obersten Stockwerk des Hauses in zwei Gästezimmern eine fünfköpfige Flüchtlingsfamilie einquartiert worden, bestehend aus zwei Großeltern und ihren Enkelkindern im Alter von sechs und zwölf Jahren und deren von einer Kinderlähmung in den Rollstuhl gezwungenem Vater. Es war nahezu unmöglich, aus einer solchen Konstellation nützliche Arbeitskraft zu ziehen. Das erkannte der junge Seewirt sofort. Es war also in seinem Haus diesbezüglich eine Beschwernis einquartiert, aus der keinerlei Profit, am wenigsten ein Ausgleich für den Verlust der zwei nicht mehr vermietbaren Fremdenzimmer zu ziehen war. Die beiden Alten erhielten bereits eine Krieger- und Altersrente und deren ausgebleichter Schwiegersohn im Rollstuhl eine

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