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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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Viktor hatte sich, im Vorgefühl des Triumphs über den verleumderischen Jäger und ob der neuen Anstellung, die ihm in Aussicht gestellt worden war, nicht mehr beherrschen können und dem Jäger alles noch einmal brühwarm hingerieben, alles was der Seewirt zu ihm vorher über den Jäger gesagt hatte, auch das vom Leder-Jäger und so weiter, und auch noch Selbsterfundenes hinzugefügt ...).
    Dem Seewirt jedoch gelang es, mit einigen raffinierten, psychologisch gehaltenen Andeutungen den Gefühlshaushalt des Jäger und dessen damalige aktuelle wirtschaftliche Gesamtlage ins Spiel zu bringen und ihm so bereits etwas Wind aus den Segeln zu nehmen, um ihm anschließend mit ein paar ziemlich großen Tausendmarkscheinen der zwar noch gültigen, aber schon immer poröser werdenden alten Währung nach und nach das Wasser der moralischen Empörung abzugraben, indem er immer wieder einen Tausender aus der Tasche zog, so lange, bis der Jäger, mit einem letzten tiefen Seufzer, verstummte und die Scheine wortlos einstrich. Danach war Ruhe. Auch mit der Besatzungsmacht hat der Seewirt den Wechsel des Viktor vom Jäger ins Seewirtshaus ganz offiziell geregelt, und das war es dann.
    Viktor war jetzt Bewohner des Seewirtshauses bis zu seinem Tod. Von seiner Frau und seiner Tochter lebte er schon bald getrennt und erlaubte sich stattdessen ein gutgehütetes Geheimnis mit einer nicht mehr ganz so jungen feinen Dame.
     

     
    Einen Buben haben wir!, rief die Alte Mare Anfang Oktober sechsundvierzig vom ersten Stock aus, wo im seeseitigen Eckzimmer das Wochenbett der jungen Seewirtin stand, ins Treppenhaus hinunter, so laut, dass es alle im Haus hören konnten, und da war allen klar, dass nun die alte Zeit vorbei war.
    Diesmal ist es ein Madl!, rief sie ein gutes Jahr später, im November 47 , um halb sieben Uhr am Abend durch die Gangtür in den Kuhstall hinein, wo die Knechte die letzten Handgriffe vor dem Feierabend gerade beendet hatten. Und der junge Fechner, der mit Vater und Bruder den eigenen Hof in Schlesien aufgeben und beim Seewirt nun Flüchtlingsarbeit leisten musste, der konnte es fast gar nicht glauben, weil ihm die Bäuerin, die junge, nicht mehr ganz so junge Mutter, doch gerade noch vor höchstens etwa erst zwei Stunden den Muckefuck samt Brotzeit in der Küche aufgetragen hatte, womit er sich noch jahrelang, bei jeder guten Gelegenheit immer wieder und immer zur ungünstigen Zeit am immer unpassenden Ort, brüsten wird – ein Mädchen zum Buben dazu und in so kurzer Zeit! Das konnte nur Gutes bedeuten für die Zukunft. Und als mitten im Advent 1949 dann von der Mare: Diesmal ist es halt schon wieder ein Madl!, gerufen wurde, da hatte man schon gar nichts anderes mehr erwartet, denn es ging immer noch mit Riesenschritten bergauf. Noch ein Madl!, na ja, ein Bub hätte es schon auch sein dürfen, wegen der Arbeit eher sogar lieber ein Bub. Aber wenigstens mitten im Advent! Was für ein Glück!
    Der neue Staat war auch gerade fertig gegründet worden, Konrad hieß der neue Adolf, und die neue Mark begann nach und nach ein glänzendes Fett anzusetzen.
     
    Zwei Wochen nach der Geburt des zweiten Mädchens, genau drei Tage vor Weihnachten, wurde morgens um neun Uhr der Seewirt von seinem Kriegskameraden Kranz aus München in einem dunkelblauen Mercedes abgeholt. Er blieb die Nacht über weg, und Viktor merkte, dass das am nächsten Morgen bei den Schwestern des Seewirts eine gewisse Unruhe auslöste. Von der Post aus wurde ein Telefonat mit der Frau des Kranz geführt, ob auch wirklich alles in Ordnung sei, und nur die junge Seewirtin blieb vollkommen ruhig, denn sie war die Einzige, die eingeweiht war. Gerade diese Ruhe aber brachte ihr von Seiten ihrer Schwägerinnen den bösen Vorwurf der Gleichgültigkeit gegenüber ihrer vom Sakrament der Ehe auferlegten Pflicht zur Sorge um den Mann ein: Du tust ja grad so, als ob es dir egal wäre, wenn ihm was zustoßen würde, giftete die Philomena. Nur keinen Neid, antwortete die junge Mutter und hob das neugeborene Mädchen an die entblößte Brust. Damit löste sie die zweite scharfe Rüge bei den Schwägerinnen aus, die sie aufforderten, diese Schamlosigkeit gefälligst nicht in der Küche zu begehen, da diese jederzeit von einem Fremden betreten werden könne. So was macht man im abgedunkelten Schlafzimmer, kreischte die Brieftaube schon leicht hysterisch, wir sind ein anständiges Haus.
    Vom dunklen Gang aus konnte Viktor, der grad im Ausguss seine Gummistiefel wusch, den

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