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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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Halbe Dunkel aus mit einem Zug.
    No wissen Se, fängt er wieder an und redet sich und was er sagt in eine immer größere Erregung, die letzten Jahre waren nicht grad leicht, ich hab da müssen Dinge erleben, von denen dieser Banause hat nicht die geringste Ahnung ... – erzählen Sie ruhig weiter, unterbricht ihn taktlos der Seewirt und steht auf, ich schenk uns noch ein Bier ein, und greift sich mit drei Fingern seiner rechten Hand die Gläser, ich kann Sie auch von der Schänke aus gut hören, und geht mit den leeren Gläsern noch mal los, zum dritten Mal. Erzählen Sie! Ich höre gern zu.
    Nu ja, was soll ich sagen, sagt Viktor, jetzt ein kleines bisschen verunsichert, was seiner Erregung ein wenig mehr Sachlichkeit gibt, im Februar 45 kam der Russe. Wir wohnten in einem kleinen Heisl am Rande von Kattowitz. Die Tochter war gerade siebzehn geworden, im Januar noch. Wir hatten nicht viel, aber das, was wir brauchten, hatten wir, und mehr brauchten wir nicht. Und da hinein kam der Russe. Wir mussten gar nicht lang überlegen, ob wir nun bleiben wollen oder in Westen gehen. Die Tochter war siebzehn! Damit war die Antwort gegeben. Was der geblüht hätte vom Russen, das haben wir müssen uns nicht ausdenken, da waren schon Gerüchte genug im Umlauf. Also packten wir, was wir tragen konnten, und reihten uns ein bei die anderen in Richtung Westen. Ich war im Herbst 40 eingezogen worden, mit fast schon neununddreißig. Ich hab dann gehabt ein großes Glück, weil ich war gewesen Bankbeamter. Deshalb hat man mich die ersten Jahre in die Schreibstube gesetzt. Erst am Schluss hab ich dann müssen verteidigen Breslau. Bin aber Anfang Februar 45 getürmt. Da war das schon möglich. Da hatten die vorm Russen schon so die Hosen voll, auch die Nazis, dass da keiner mehr hat darauf geachtet, ob der neben ihm sich noch geordnet zurückzieht oder ob der schon türmt. Da bin ich eben stiften gegangen. Desertiert. Nicht aus Feigheit. Nee, nee. Aber Kanonenfutter wollt ich nich werden. Und ich hatte ja Familie. Und Deutschland verteidigen? Da war nischt mehr zu verteidigen. Also was soll’s? Nach drei Monaten waren wir in München. Überall war alles schon voll. Lauter Leute ausm Osten. Das konnteste dir, wenn de das nicht hast gesehen mit eigne Augen, gar nicht vorstellen, so viele waren das. Und überall die Gesichter von die Einheimischen. Da hab ich gesehen, was Mörderaugen sind. Zuvor, im Krieg, da wo sie morden durften, da ham die anders geguckt. Da schauten die alle so stumpf. Denn da durften sie ja. Aber da haben sie eben auch noch müssen das schlechte Gewissen unterbringen im Schauen. Wenn du zustechen darfst, fühlste dich zwar nicht mehr gehemmt, da biste dann frei, möchte ich mal sagen. Aber so ein bisschen schlechtes Gefühl bleibt immer hinterher. Und da guckt einer danach dann eben stumpf. Aber jetzt hatten die Angst um ihre Pfründe. Und uns durften sie ja nun nicht mehr abschlachten. Obwohl sie uns genauso gehasst haben wie vorher die Juden oder die Russen. Da sagten die Augen alles, kann ich Ihnen sagen. Da sagten die Augen, was sie vorher getan haben und wieder hätten tun wollen. Von Berlin über Nürnberg bis München war alles voll in die Dörfer. Mit lauter Leuten ausm Osten. Und überall diese Augen. Und die Städte? Die waren ja alle hinüber. Also blieb uns nischt anders über. Wir haben müssen aufm Land suchen unser Glück. No, und da bin ich eben gelandet bei dem Jäger.
    Der Seewirt ist da mit dem frischen Bier schon wieder eine Weile zurück am Tisch, und Viktor nimmt noch einmal einen tiefen Schluck. Er ist jetzt ein wenig erschöpft vom Reden. Und erleichtert.
    Ja, der Jäger, das ist manchmal ein auffahrender Mensch, sagt der Seewirt, das weiß jeder, der ihn kennt, den Jäger. Der zieht gern vom Leder. Drum heißen ihn auch manche hier im Ort den Leder-Jäger. Aber wenn Sie wollen, dann red ich mit dem Jäger, und Sie fangen an bei mir. Aber nur, wenn Ihnen das recht ist.
    Recht war das dem Viktor dann schon, und der Seewirt hat mit dem Jäger alles geregelt. Der hat zwar noch einen Wutanfall gekriegt und den Seewirt beschuldigt, er würde ihm von der Besatzungsmacht zugeteilte Angestellte auf die allerübelste Art abspenstig machen, indem er sie mit Bier abfülle und ihnen anschließend Sachen in die besoffene Birne hinein erzähle, die an Verleumdung grenzen, und ob er sich das überhaupt erlauben könne, gegenüber der Besatzungsmacht, er, der Seewirt, frage er ihn, der Jäger (denn der

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