Mittelreich
halbgewölbten rechten Hand weit ausholend übern Tisch von der andern Kante her in ihre hohl gehaltene linke. Das ist das Zeichen für Theresa, jetzt den Müßiggang zu enden und die Teller und die Schüsseln abzuräumen.
Bröselhafer hat’s gegeben, fast fastenhaft, denn morgen soll der Braten richtig schmecken, der vom Schwein, und übermorgen dann der Fisch.
Die Theresa spült am Ausguss das Geschirr und hat sich fest in sich verpuppt. Die Häuslerin im Kopf und stumm dabei der Mann! Das wuchert Hornhaut ins Gemüt.
Die Mare hat schon lange vorher den Fressnapf für den Lux hinaus aus dieser Küche hinüber in ihr eignes Reich getra gen. Da sitzt sie jetzt im großen grünlich grau verdreckten Ohrensessel und schaut dem Hund beim Fressen zu – und lächelt, von einer innern Ruhe gut versorgt, in sich hinein. Sie mag den Pankraz, ihren Herrn, den Seewirt. Sie spürt, das Dienstmensch, seine Milde, sein Untalent zum Herrischsein, das ihm das Leben auch nicht leichter macht, das Leben als ein Herr, in dem er Tag um Tag und schnell für sich und andere entscheiden soll. Sie trägt ein warmes Mutterherz für ihn in ihrer Brust. Sie wurde eingestellt im Haus, als er gerade frisch geboren war. Sie war zwanzig, er war zwei. Sie der jungen Frauenkörpersehnsucht ausgeliefert, die zu ihrer Zeit im Selbstverständnis noch vor allem ein Reflex der Arterhaltung war, er zu seiner ersten kleinen Individualität gereift. Sie hatte eine große Sehnsucht, als sie ankam, aber keinen Mann. Doch ein Kind war da. Und mit dem Kind, so wie es wuchs, verkam die Sehnsucht nach dem Mann. Und als das Kind zum Mann geworden war, war aus der Sehnsucht einer jungen Frau nach einem Mann die Sehnsucht einer bei der Kinderaufzucht alt gewordnen Frau nach einem Kind im Mann geworden. Kein Wunder, dass das Tischgebet vom königlichen Weihnachtsbraten ihr kein Unbehagen, sondern heiteres Vergnügen schaffte. Der Pankraz ist im Stillen ihr, der lebenslänglich unberührt Gebliebenen, jungfräulich gebornes Kind. Sie gab ihm die Wärme, die sein strenger Vater, der zusammen mit des Kaisers Staat nach oben strebte, und die seelenkranke Mutter ihm nicht geben konnten. Statt im stillen Gram zu enden oder sich die Welt aus unerfüllter Sehnsucht nach der Elternliebe nur noch im wilden Hass zu nehmen, wurde dieser Mann durch ihre Pflegschaft mild. Mit ihm würde kein Deutschland mehr empor sich recken können, und auch die Frucht des Aufbegehrens und der Unzufriedenheit würde niemals in ihm keimen. So blieb er ihr erhalten. Sie war es ganz zufrieden, die Alte Mare. Sie hatte es im Großen und im Ganzen schon recht gut gemacht in ihrem Leben. Viele andre Möglichkeiten hätte sie auch nicht gehabt. Die überschüssigen Kinder der armen Bauern waren geboren, ihr Leben im Dienst der reichen zu fristen. Wenigen nur gelang die Heirat. Und für das Kloster war ihr Herz, der Mare ihrs, zu voll.
Herr, vergelt’s Gott, sagt sie und bückt sich nach dem blank geleckten Porzellanteller zwischen den Pfoten des Hundes. Dankbar schauen seine müden Augen zu ihr hinauf. Das ganze Zimmer stinkt nach seinen Gasen.
Die Seewirtin war hinübergegangen ins Kinderzimmer, den einzigen Raum, wo sie mit Mann und Kindern allein sein konnte, wenn ihr danach war: ohne Knechte und Mägde und ohne die Schwestern. Und seit ihrer Ankunft in diesem Haus, vor knapp vier Jahren, war ihr schon oft danach. Das Neugeborene schrie. Es hatte den halben Vormittag durchgeschlafen und war gerade aufgewacht und drohte jetzt mit dem Geschrei die andern beiden Kinder aufzuwecken. Noch vor dem Essen hatte sie die älteren Kinder schon ins Bett gebracht, damit sie am Abend länger aufbleiben und die Geschenke erforschen konnten. Jetzt hob sie das Kind an ihre Brust und dachte nach.
Warum habe ich denn schon wieder so ein schweres Herz? Gerade habe ich mich doch noch so gefreut über die lustigen Sticheleien gegen die Schwägerinnen. Wie die sich entrüstet haben und mich ganz vergaßen dabei, ihre ständigen Zurechtweisungen und Spitzen gegen mich. Bin ich undankbar?
Eigentlich habe ich es doch ganz gut getroffen. Hab einen stattlichen Mann gekriegt, den ich liebe – doch, ich liebe ihn, ganz sicher tu ich das –, und er liebt mich, das spüre ich. Wenn er mich anschaut, dann ist das wie ein schönes Lied oder so, als ob ich sanft gestreichelt würde. Und ihm gehört der größte Hof im ganzen Dorf. In kurzer Zeit hab ich trotz meines Alters drei kerngesunde Kinder ausgetragen.
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