Mittelreich
Frische des Körpers und der Kleidung gleich wieder zu besudeln. Sie warten auf den Heiligabend. Der Raum jedoch, die Küche, wirkt, als hätt ein Engel sie durchflogen – der Kernseifen-Pril.
Nur die Seewirtin fehlt noch. Sie reinigt schon wieder das Bad. Fremdes Körperaroma aus fremder Intimität dünstend in ihrem eigenen privaten, familiären Bereich ist ihr zuwider: Sie hat Angst vor Bakterien. Eine ganz neuen Angst, die die Ankunft der Seife im bäuerlichen Leben flankiert.
Am Abend läuft die Feier ab wie immer. Um den Ofentisch herum sitzt die Familie. Am Tisch daneben, unter dem Votivbild, das den Diebstahl des Kirchgruber Maibaums durch die Burschenschaft aus Seedorf feiert, sitzen steif in ihrer Festtagskleidung die Knechte und die Mägde: der Valentin, der Viktor und der Fechner – dessen beide Söhne sich im letzten Frühjahr schon in Kirchgrub oben mit zwei bäuerlichen Erbinnen verehelicht haben – der Alte Sepp, die Leni, die Marille, die Lisbeth und die Alte Mare. Unterm Herrgottswinkel sitzt der Herr von Bayern mit Cousine. Und auf dem vierten Tisch, um den herum die Zimmerwärme schon ein wenig schwächelt, weil er am weitesten vom Ofen weg und unterm Fenster auf der Wetterseite steht, da liegen die Geschenke: Handschuhe, Unterhosen, Hemden; ein Kropfband, eine Brosche; Rasierzeug, Gummistiefel, Obstlerschnaps und Villingerzigarren; Marienkerzen und ein verzierter Blumentopf aus Ton. Und ein nagelneues Bonbuch für die Kellnerin, die Loni – alles das, was Knechte und was Mägde bei der Arbeit brauchen und danach. Und am Boden unten liegt das Spielzeug für die Kinder um ein nach frischem Schnittholz riechendes, ganz nagelneues Schaukelpferd herum.
Alle essen Weißwürste und Wienerwürstl mit Kartoffeln und Salat. Der Viktor trinkt ein Dunkelbier dazu, andre eher Weißbier oder Radler. Die Frauen nippen einen süßen Pfälzerwein, den der Seewirt, nach dem Tischgebet, mit großer Geste aufgefahren hat. Und der Prinz und seine Base essen einen frischen Karpfen mit zerlassner Butter, beigelegt sind Salzkartoffeln und Salat – wie sich’s für ein königliches Henkersmahl gehört.
Bald wird die Stimmung individuell: Der Viktor und der Fechner denken an ihr Schlesien; die Loni an ihr Kufstein in Tirol; die Alte Mare an das neugeborene Jesuskind in seiner Krippe; die Theresa denkt an ihre tote Mutter und den alten Lot in Eichenkam; der Seewirt an die letzte Feldweihnacht; der Prinz denkt an die Nacht, die vor ihm liegt mit der Cousine; und die Seewirtsschwestern gedenken, herausfordernd und laut das Vaterunser betend und so das Vorrecht eigenen Erinnerns im eignen Haus betonend, des Todestages ihres Vaters, des alten Seewirts, der sechs Jahre vorher am Weihnachtstag gestorben war. Sie stellen, mitten auf den Tisch, ein großes Photo ihrer Eltern und stecken Fichtenzweige in den Rahmen. Und alle andern, die den alten Seewirt zwar nicht kannten, aber durch der Schwestern herrisches Gebetsgebaren in das Vaterunser einzustimmen sich genötigt sehen, lernen nun, dass zwar persönliches Gedenken frei und stille Andacht sittsam sind, dass eines Herrn Tod jedoch bevorzugt und von allen laut betrauert werden muss.
Und dann singen alle die Stille und Heilige Nacht.
... Christ der Retter ist da!
Als das letzte da , das der Seewirt dehnt bis zum letzten Atem aus seinem Zwerchfell, endlich ganz verklungen ist, holt er tief Luft, steht auf, nimmt die karierte Pferdedecke vom Karton, der ein wenig abseits von den anderen Geschenken steht, und beginnt, vorsichtig und geheimnisvoll, die Verpackung aufzuschneiden. Ein Kartoffelschälmesser zieht er langsam durch die Klebestreifen, bis zwei Seitenwände des Kartons nach außen klappen. Dann zieht er ganze Buschen Holzwolle aus Hohlräumen heraus und wendet sich, als nichts mehr kommt, hilfesuchend an den Viktor: Herr Hanusch, bitte, den Karton festhalten – und ruckelt dann, als der die Arme fest um die Verpackung schlingt, Zentimeterruck um Zentimeter ein poliertes und gelacktes Holzschrankding heraus, so glänzend wie der See im Licht des Sonnenuntergangs, ein unbekanntes Trumm, so schön und wirkungsmächtig, dass die Alte Mare meint, es wär ein Tabernakel, und sich in ehrfurchtsvoller Scheu mit dem gestreckten Daumen ein unsichtbares Kreuz auf ihre Stirne malt. Alle schauen sie, mit offnem Mund, und raten vor sich hin. Das ist ein Musikkombischrank, sagt jetzt der Seewirt, von Grundig, gekauft bei Lindberg in der Hauptstadt und das neueste Modell:
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