Mittelreich
Angriff auf die Natur der Mutterschaft belauschen. Sie war noch nicht sehr gut gelitten, die neue Frau, im Nachkriegsharem ihres Mannes. Oft würzten bei den Hinterbliebenen die Missgunst und der Neid noch scharf Moral und Sitte, die einem mit der Ehe aufgezwungen worden waren. Die Verwandtschaft wurde quasi mit vermählt. Das Glück der Ehe musste erst erobert und dann auch noch verteidigt werden. Die junge Mutter tat sich da noch hart in diesen ersten Jahren, in denen sie sich in ein pseudoherrschaftliches Haus mit seinen antibäuerlichen Dünkeln einzuleben hatte. So zog sie sich, wie es ihr verord net worden war, erst einmal zurück ins Ehegattenzimmer und weinte da ein wenig. Doch während sie die Tochter säugte, sehnte sie den Mann herbei, nicht ohne in Gedanken vorwurfsvoll mit ihm zu hadern, dass er sie gerade jetzt, mit drei so kleinen Kindern, allein im Haus bei seinen Schwestern ließ. Und nicht einmal die Alte Mare, die sich oft schon mit beredtem Blick beim Ringen um die Frauenmacht im Haus an ihre Seite stellte, konnte ihr in diesem Falle helfen, da auch sie in solchen heiklen Fragen sittenstreng zu den Geboten der Keuschheit und der Kirche stand. Sie war bäuerlich aufgewachsen und ebenfalls ledig geblieben – das Erstere verband sie mit der Theresa, das andere mit deren Schwägerinnen.
Viktor, der Stadtmensch, fühlte sich als Zeuge zwischen beiden Polen hin- und hergerissen. Sein instinktsicherer Opportunismus sagte ihm, dass die beiden Schwestern vorerst die Mächtigeren in diesem Gerangel bleiben würden. Ihm war aufgefallen, dass der Herr des Hauses kein entschlossnes Machtwort gegen seine dünkelhaft verbohrten Schwestern und zugunsten der Frau und Mutter seiner Kinder wagte. Danach versuchte er sich auszurichten. Er war nur Faktotum, er war nicht Partei. Zweifellos behagten ihm die zänkischen und altjüngferlichen Schwestern weniger als die bäuerliche Frische und Direktheit dieser jung gebliebnen Frau mit ihren vierzig Jahren, deren spätes Mutterglück ihren gut geformten und erotisch anziehenden Körper noch einmal zur vollen Blüte gebracht hatte. Doch weiter als in ein verhaltenes Wittern ließ er sich davon nicht treiben.
Am nächsten Tag, es war der vorletzte Tag vor dem Heiligen Abend und gegen vier Uhr am Nachmittag, kehrte der Seewirt mit dem Kranz aus der Hauptstadt zurück. Der blaue Mercedes hielt direkt vor dem Eingangstürl zum Wirtsgarten. Die beiden Insassen stiegen aus, sahen sich kurz um, öffneten die dem Haus abgewandte Hintertür des Viertürers, hoben einen in eine Wolldecke eingewickelten Karton von etwa achtzig Zentimeter mal einem Meter vom Rücksitz, trugen den ins Haus und verschwanden damit in der geräumigen Speisekammer. Und als sie die nach nur ein paar Augenblicken und nun ohne den Karton wieder verließen, drehte der Seewirt den Schlüssel gleich zweimal im Schlüsselloch herum und steckte ihn sofort in seine Tasche. Danach bat er den Kriegskameraden in die gut geheizte Wirtsstube.
Und während der Kranz dort einen frisch aufgegossenen Bohnenkaffee serviert bekam und dabei von des Seewirts Schwestern unterhalten wurde, schlachtete der Seewirt in der Fischhaushütte einen drei Pfund schweren Karpfen und legte den dem Kranz, gut verpackt in bräunlich graues Packpapier, bei dessen Aufbruch auf den Beifahrersitz des Mercedes. Als Anerkennung für deine treue und mobile Kameradschaft, sagte er dazu. Denn weder der Seewirt noch sonst irgendwer in ganz Seedorf besaßen um dieses ausgehende Jahr 1949 herum ein selbstfahrendes Gefährt. Mit besten Grüßen an die Frau und der Aufforderung zu einem baldigen gemeinsamen Besuch zwischen den Feiertagen wurde der Kranz schließlich verabschiedet – und dann senkte sich die kalte Nacht herunter. Mit einem Schlag war Weihnachten hereingebrochen.
Bereits am frühen Vormittag des nächsten Tages wurde der Christbaum in den Herrgottswinkel der schon geheizten Gaststube gestellt. Fünf Stunden lang brauchte die Brieftaube zum Schmücken. Während die Knechte in der Scheune droben das Heu für die Feiertage herrichteten und der Viktor das gespaltene Holz mit dem Handleiterwagen aus der Holzhütte in die Küche transportierte, dirigierte dort die Hertha bereits die zwei Mägde und das Lehrmädchen zwi schen Ofen und Speisekammer nur so hin und her. Es rauchte und dampfte, brodelte und zischte, und oben im ersten Stock ging das Baden los: Der Herr von Bayern war zu Gast, der Kronprinz Konstantin, Erbe des nicht mehr
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