Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
Vom Netzwerk:
Meine Schwestern freuen sich für mich und sind vielleicht sogar ein wenig neidisch. Meinem alten Vater hüpft das Herz im Leib, wenn er zu Besuch kommt und mich hantieren sieht in Haus und Stall. Ich spür dann keine Sorgen mehr, bei ihm nicht und auch nicht bei mir. Ist nicht die Sorgenfreiheit der Boden für das Glück? Was belastet mich dann immer wieder so? Bin ich undankbar, bin ich das?
    Natürlich war es keine Frage, dass sie ihren Mann noch liebte nach vier Jahren. Selbst wenn es anders wäre, hätte sie es sich nicht eingestanden. Sie hätte es wahrscheinlich nicht einmal gewusst. Die körperliche Liebe, mit ihrer Wirkung auf das Seelenleben, gehörte nicht zur Tastatur, die sie mit Raffinement zu spielen wusste. Dunkle Töne, die wie aus der Erde kamen und in sie zurück, beschallten ihre Seele.
    Wie leicht die Milch aus mir heraus hinüber in das Mädchen fließt und in sein Leben strömt, dachte sie. Wie heiter und erregt mich die Berührung seiner Lippen macht. Ach, wie leicht es doch zu leben wäre, wenn alle Menschen sich so gehenlassen könnten, im Geben und im Nehmen. Warum kann ich das nicht. Warum kann ich die Schwestern meines Mannes nicht so nehmen, wie sie sind? Und sie mich so, wie ich bin? Warum hilft mir der Mann dabei so wenig? So wenig neigt er sich zu mir herüber, dass ich seinen Geruch oft nicht mehr weiß. Als müsste er sich tarnen. Wovor denn? Ich bin doch seine Frau. Ich! Bedeutet dieses Mann und Frau so wenig, dass jede Schwester es beschmutzen darf? Ist die Familie nicht die neue, die ich mit ihm gegründet habe, der jetzt die alte weichen muss?
    Erschrocken von sich und ihren Gedanken, nimmt sie das Kind abrupt von der Brust und fängt an, es aus seinen Win deln zu wickeln. Der Mann ist jetzt auch ins Zimmer gekommen und geht prüfend durch den Raum, betrachtet ihn von allen möglichen verschiedenen Standpunkten aus. Dabei schaut er ein wenig geheimnisvoll. Die Frau fragt nicht. Sie schaut ihm nur zu und ist gerade wieder sehr glücklich. Hier!, sagt der Mann, hier neben dem Fenster, das ist der beste Platz. Da kommt er hin. – Ja, wenn du meinst, sagt die Frau, dann wird es schon so richtig sein. – Da bin ich mir ganz sicher, antwortet er, von hier aus hat er die beste Wirkung. Auch klanglich. Hier kommt er hin. Aber heute Abend kommt er erst mal in die Stube. – Und Platten hast du auch gekauft? – Ja, sagt er, zwei, den Tristan und die Missa solemnis . – Schön, sagt sie, da freu ich mich.
    Und das war nicht nur so dahin gesagt. Beide sangen sie im Kirchenchor und kannten sich aus in Musik.
    Du warst so schüchtern heute nach dem Essen, sagt er, was war denn los mit dir? – Sie errötet schon wieder ein wenig und sagt: Ja wenn du auch solche Sachen sagst. Ich hab gar nicht mehr gewusst, wo ich hinschauen soll. Und deine Schwestern waren ja richtig böse mit dir. –
    Das macht aber nichts, sagt er, warum muss sich der Prinz ausgerechnet am Heiligen Abend hier einquartieren? Das ist ein Familienfest. Da will ich keine fremden Leute unter den eigenen haben. Ich will überhaupt keine fremden Leute mehr im Haus haben. Wir sind ja schon selber fast wie Fremde hier! – Ja schon, sagt sie, aber wir sind halt ein Gasthaus, und er wäre halt jetzt ein König, wenn wir noch eine andere Zeit hätten. – Wir haben aber jetzt eine neue Zeit, antwortet ein wenig heftig der Mann, da muss man sich an das Alte nicht mehr so hinhängen. – Ja schon, sagt die Frau. – Und er sagt: Die hätten ja am liebsten immer noch ein Königtum, die Philomena und die Hertha. Da wären ja die Jahre mit den Kriegen und dem Hitler ganz umsonst gewesen – und schaut ihr dabei freundlich ins Gesicht, gar nicht verbissen. Und wieder steigt ein warmer Schauer auf in ihr.
    Fest sitzt die Liebe in ihr drin, ein bisschen angekratzt.
     
    Etwas später breitet sich dann in der Küche eine fast sakrale Stimmung aus, wenn die Knechte nach dem weihnachtlichen Bad, das sie im selben, immer wieder aufgewärmten Badewasser nacheinander genommen haben, um den Tisch rum sitzen, in frischen Hemden, manche auch in frischen Unterhosen und mit frisch gewaschnen Socken, die sie vorher auf dem Weg nach oben von der Seewirtin mit Nachdruck in die Hand gedrückt bekamen. Still sitzen sie da, bewegungslos, wie erstarrt, reden kein Wort und blättern mit zeitlupenhaften Bewegungen in der Zeitung, sichtlich bemüht, durch keine unbedachte Regung die Schweißdrüsen zu aktivieren, um nicht die ungewohnte, aber genossene

Weitere Kostenlose Bücher