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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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stand er auf, nahm den leer gegessenen Teller in die Hand, samt Löffel, Gabel und Messer, und sagte, schon halb im Gehen: Nu, eine alte Dame aus gutem Hause ist sie schon gewesen, das Freilein Zwittau. Ich hab sie müssen immer bewundern, wegen ihrer feinen Manieren und Umgangsformen. Sie hat bestimmt genossen eine gute Erziehung und so weiter, da habe ihn seine eigene Anschauung ganz sicher nicht betrogen. Das wisse er. Und die soll nun gewesen sein so eine Art Mann! Das könne er einfach nicht begreifen. Was soll das überhaupt sein, fragte er, eine Art Mann? Sie war eine Frau, das habe man doch deutlich können sehen, an ihrer Kleidung, und man habe es auch gehört, an der Stimme. Auch sei sie immer aufs Damenklo gegangen. Nie habe er sie im Männerklo angetroffen. Manchmal habe er sie vom Dampfersteg aus im Sommer im See schwimmen sehen, und da hatte sie jedes Mal ganz eindeutig einen Damenbadeanzug an. Und wenn ich das so sagen darf hier, sagte er, die hat auch gehabt richtige Brüste. Also nicht wie ein Mann. Wie eine Frau eben. Im Badeanzug hat man können das deutlich sehen.
    Aber Herr Hanusch, ich muss schon bitten, ein bissel Maßhalten täte Ihnen auch anstehen, wies die Hertha ihn erzürnt zurecht, so was muss man ja nicht gleich aussprechen.
    Da sprang dem Viktor aber ansatzlos der Seewirt bei: Ja wie hätt er es denn anders sagen sollen, spottete er, hätte er es mit der Hand herzeigen sollen, was er meint, oder auf ein Blatt Papier aufmalen? Das heißt man halt mal Brust, was ihr da vorne dran habt. Da gibt’s nichts dran zu schrauben.
    Er hatte jetzt in dieser Sache wirklich was zu sagen, was ihn ernsthaft umtrieb. Doch richtet er es sich zuerst einmal im Kopf zurecht.
     
    Stumm wackeln noch derweil die Schwestern mit den Köpfen ihr fast schon transzendiertes Nein zum ewig ungezogenen Verhalten ihres kleinen Bruders – und ruhen dabei fest in ihrer Selbstgewissheit. Trotzdem überlassen sie ihm nun das Feld zu seinem Resümee.
     
    Ich habe das beim Militär gesehen, fängt er an, und, Herr Hanusch, vielleicht können Sie mir das bestätigen – Setzen Sie sich doch noch mal kurz hin! –, ich glaube nicht, dass das was Besonderes war, was ich da im Feld erfahren habe. Das hat’s bestimmt beim Barras überall gegeben. Wo Hunderte von Männern beieinander sind. Da gab es Übergriffe ohne Selbstbehalt. Es gab Verletzungen im unteren Intimbereich. Da lagen oftmals Männer über Männern, und Männer sahen manchmal Frauen gleich. Sie räkelten und bogen sich wie Frauen auf der Gant und boten sich als Männer andern Männern dar, und Männer zogen sie zu sich heran und nahmen sie, wie Männer sonst nur Frauen nehmen, in den Arm. Es war ein wildes Reißen Zerren Ringen in der Nacht. Oft hab ich keinen Schlaf gefunden. Zwar war ich selber nie dabei. Mich hat der Ekel abgehalten. Doch hat man Augen, die was sehen, auch ohne dass man ihnen eine Richtung weist. Man hat die Ohren, die sich weigern, nichts zu hören, selbst dann noch, wenn man seine Finger in sie stopft. Man spürt die Scham, die Wut, die das Gemüt verdunkelt. Du hast eine Erziehung, der du nicht entgehst. Oft hab ich mich gefragt, warum ich selber nicht so bin? Fehlt mir da was? Kann ich ohne Schuldgefühl mir keine Lust vergönnen? Darf ich ohne Angst vor Strafe kein Vergnügen kennen? Warum kümmert mich das, was die andern Leute von mir denken? Hat nicht auf seine eigene Art ein jeder seinen eigenen Dreck am Stecken? Muss ich mich mit Moral vor andern über andre heben? Bin ich vielleicht ein Vorbild für die Braven unter lauter Schweinen und Perversen? Bin ich was Besseres, wenn ich mich vor andern nicht entkleide? Hab ich mich vorbildhaft in der Gewalt, wenn ich mit Disziplin an meinen Trieben leide? Oder bin ich nur verklemmt und feige? Solche Fragen habe ich mir oft gestellt. Sehr oft. Ich habe mich darüber auch mit einem Priester unterhalten. Der meinte gar, ich sei damit auf einer guten Spur. Ich sollte weiter fragen in die Richtung, dann ging ich leichter um mit mir und meiner Abscheu vor der lasterhaften Männlichkeit. Aber alle diese Fragen schießen nur am Ziel vorbei. Die Wahrheit ist, dass diese Leute krank sind, keine Männer, sondern arg misslungene Naturen. Ihrem Dasein fehlt das Göttliche. Sie haben keine Manneszucht, keine überirdische Struktur. Keine Seele, die sie von den Tieren unterscheidet. Man muss sich ihnen in den Weg stellen, ihren kranken Trieb aufhalten! Man muss sie suchen, überall, und der Staat muss

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