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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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das sei ›eine Entehrung der Flagge und eine Beleidigung der Nation‹. Und dieser Mann hat ihn erschossen. Ich konnte danach die Fähnchen nie mehr leiden und habe nie ein Grab damit geschmückt, auch nicht, als es angebracht gewesen wäre.«
    »Das zeigt, daß die Depression nicht die einzige schlimme Zeit war«, sagte Mrs. Herwig, »obwohl sie schlimm genug war.«
    »Wißt ihr, was das schlimmste an der Ölboomzeit war? Das Waschen. Jeden Tag lief die alte Maytag stundenlang.«
    Phyllis Crouch, die nur etwa halb so alt war wie die großen Wortführerinnen, sagte in gespielter Verzweiflung: »Mit allem gebotenen Respekt vor den harten Zeiten, wie sie die ersten Siedler und die Leute während der Depression durchgemacht haben, muß ich mich trotzdem wundern, daß meine Granny und meine Ma immer nur die alten Sorgen im Munde führen. Ma hat sieben- oder achttausend Depressionsgeschichten auf Lager, über Babys, die vom Wirbelsturm mitgerissen wurden, und über Leute, denen der viele Sand, den sie mitessen mußten, die Zähne abgenutzt hat, und Dad kann einem von den Windrädern erzählen, die vor lauter Sand nicht mehr laufen konnten. Aber ich kapiere einfach nicht, warum wir das immer wieder aufwärmen müssen. Es ist doch Vergangenheit. Wir sollten lieber über hier und heute reden.«
    Alle lachten, und eine der Anwesenden steuerte eine aktuelle Klatschgeschichte bei.
    Bob Dollar zählte die ältesten Frauen am Tisch – sieben. Er hatte mitbekommen, daß sie allesamt Witwen und Eigentümerinnenbeträchtlicher Anwesen waren, unter denen sich möglicherweise der eine oder andere perfekte Standort für Schweinemästereien befand. Er beschloß, unter dem Deckmäntelchen vorgeblichen Interesses an der Vergangenheit bei jeder einzelnen vorstellig zu werden, um die Grundstücke zu taxieren und sich über eventuelle Erben zu informieren. Tater Crouch stand auch auf seiner Liste.
    LaVon ging in die Küche, um die Erfrischungen aus dem Kühlschrank zu holen. Der Regen hatte sich verzogen und hinterließ einen seidigen Schimmer auf der Welt. Bob trug die Teller und die gekühlten Speisen auf die Veranda. Eine köstlich kühle Brise strich über die Damen, die an ihrem Limonensoda mit Eiscreme nippten. Die Männer waren wieder ausgestiegen und riefen ihren Müttern und Großmüttern zu, sie sollten nicht zu tief ins Glas schauen.
    Bob machte sich an Freda Beautyrooms heran.
    »Mrs. Beautyrooms, was Sie erzählt haben, fand ich faszinierend. Über die alten Zeiten hier im Panhandle. Ich würde Sie gern fragen, ob ich Sie einmal besuchen und noch mehr davon hören dürfte.«
    Sie sah ihn lächelnd an.
    »Mr. Dime oder Dollar oder wie immer Sie heißen mögen: Ich habe schon vor langer Zeit herausgefunden, daß das Interesse junger Männer an meiner Bekanntschaft nicht mir oder den alten Zeiten gilt, sondern daß so jemand meint, er könnte mich dazu überreden, mein Geld in irgendwelche Unsinnsunternehmen zu investieren, oder er könnte mir meinen Grundbesitz für einen Appel und ein Ei abschwatzen. Ich habe feststellen müssen, daß die Schmeicheleien junger Männer mit größter Vorsicht zu genießen sind. Sie entschuldigen also, wenn ich Ihrer Bitte nicht entsprechen kann.«
    Das Wort »abgeblitzt« kam ihm in den Sinn. Er war abgeblitzt.
    Auf der Rückfahrt erklärte Billy Ratt seiner Großmutter, was es mit dem Metallfisch auf sich hatte.
    »Es ist ein Zeichen, das manche Christen an ihrem Wagen anbringen, so ähnlich wie die Aufkleber an den Stoßstangen: ›Wer Jesus liebt, hupt‹, nur ein bißchen raffinierter. Hat damit zu tun, daß Jesus die fünf Brotlaibe und zwei Fische in genug Essen für die ganzen Leute verwandelt hat. Der Fisch eignet sich dafür besser als die Brotlaibe. Überleg mal, wie schwierig es wäre, sich ein Symbol für Brot auszudenken – sollte es so ein runder orientalischer Fladen sein? Oder eine Scheibe Weißbrot wie aus dem Supermarkt? Oder eine von diesen französischen Stangen, die wie Bärenkacke aussehen? Da war der Fisch besser geeignet.«
    »Ja, und was stört dich daran? Ich hätte gedacht, daß du stolz darauf wärst zu zeigen, daß du ein Christ bist.«
    »Oma –« sagte er und hielt dann inne, weil er wußte, daß es keinen Sinn hatte zu widersprechen und daß er den Metallfisch an seinem Wagen anbringen würde, sobald sie zu Hause waren. Er überlegte bereits, wie er ihn an einen dicken Draht montieren konnte, der wie eine Angelschnur aussah. Er konnte den Fisch schräg anbringen,

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