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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Meilen entfernt sein konnte.
    Später am Morgen plagte ihn eine neue Malaise. Er spürte, wie Maismehl und Kaffee und Austern in seinen Eingeweiden rumorten und brandeten. Krämpfe schüttelten ihn. Er mußte an Dave Dudley und den Uhrenhändler denken. Die nächsten Stunden stolperte er dahin und mußte sich immer häufiger Erleichterung verschaffen. Er ließ seinen Koffer liegen. Dann begann er sich auch noch zu übergeben und bekam schreckliche Kopfschmerzen. Am mittleren Nachmittag kapitulierte er und blieb in größtem Elend auf dem Boden liegen. Nach einer Stunde, als das Fieber ihn wie auf einem Spieß der Übelkeit röstete, hatte er den Eindruck, Rauch zu riechen. Er rollte sich auf die andere Seite und beäugte die Prärie. Ja, aus einer Erderhebung drang Rauch – ein Vulkan? Plötzlich zeigte sich einschwarzes Rechteck in der Erhebung; eine Gestalt bewegte sich und warf etwas, was kurz aufblitzte. Die Gestalt wandte sich ab und verschwand in dem dunklen Rechteck, in dem er nun eine Tür erkannte. Er begann hinzukriechen, und als er nur noch fünfzig Fuß entfernt war, fingen zwei Pferde in einer Art Gehege zu wiehern und zu schnauben an. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Martin Merton Fronk rief: »Hilfe«, ein schwaches, ersticktes Blöken.
    »Was in drei Teufels Namen ist denn das ?« sagte eine Stimme, und ein riesiger weißhaariger Bursche in rotem Hemd und zu kurzen weiten Baumwollhosen trat entschlossen aus der Erdwohnung, eine Winchester in den Händen. Hinter ihm kam ein kleinerer, jüngerer Mann, ein krummbeiniger, knopfäugiger Halunke mit einem üppigen, wenn auch buntscheckigen Bart, den der Wind zur Seite blies.
    »Wer zum Henker bist du, und warum in drei Teufels Namen schleichst du dich hier an? Gehörst du zu den Burschen mit klebrigem Seil, die an anderer Leute Pferde Gefallen finden?«
    »Krank. Kann nicht gehen. Will nichts Böses.« Es kam ihm kurios vor, daß sie ihm böse Absichten unterstellten. Vom Reden mußte er sich erneut übergeben.
    »Oh, Scheiße, du riechst ja, als hättest du dich nicht nur vollgekotzt, sondern auch noch vollgeschissen.«
    »Ja. Krank. Übel.« Er stammelte etwas über den Maismehlkuchen und das tote Pferd und den plötzlichen Durchfall.
    »Hast du dein Wasser bei Twospot geholt? Aus einem kleinen Teich?«
    »Ja.«
    »Das ist Dünnpfiffwasser. Davon wird einem schlecht, daß man am liebsten sterben würde, so, als würden einem die Innereien mit der Häkelnadel der Frau Mama aus dem Arschloch rausgezogen, aber man stirbt nicht daran, die meistenüberleben es, und manche trinken sogar später wieder von dem Dünnschißwasser, und es macht ihnen nichts aus. Bei mir war es so. Aber wir können dir helfen. Warte hier. In das Lager lassen wir dich nicht rein, solange du riechst wie Scheiße und Kotze, die eine Woche lang mit Stinkekohl gekocht wurde. Du bleibst hier brav liegen, wie eine leere Geldtasche, und wir bringen dir deine Medizin.«
    Die Medizin, wie sie es nannten, war ein Zinnbecher mit brauner Flüssigkeit, die mit billigem Fusel versetzt war. Er trank sie und mußte sich sofort übergeben. Der Mann mit dem vielfarbigen Bart holte eine zweite Portion, die Martin in kleinen Schlucken trank, um sie im Magen zu behalten. Als der Becher geleert war, blieb er im Gras liegen und schloß die Augen.
    »Dauert eine Stunde oder zwei, bis es wirkt«, sagte der Riese, und beide Männer verschwanden in der Erdwohnung.
    Kurz vor Sonnenuntergang erschienen sie wieder mit einer Schüssel dampfendheißen Wassers und zusammengelegten Kleidungsstücken. Sie zogen ihm das stinkende Hemd und die Hose aus, übergossen ihn mit dem Seifenwasser, warfen ein Stück Sacktuch hinterher und rieten ihm, die saubere Kleidung anzuziehen.
    »Mein Koffer … «, sagte er und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war.
    Der große Mann sagte: »Gute Idee. Warum soll er unsere Lumpen mit seinem Dünnschiß verstinken, wenn er das mit seinen eigenen Sachen machen kann?« Er sattelte eines der Pferde und ritt zu dem Lager am Creek. Martin lag nackt und frierend auf der Prärie; er begann zu zittern, doch wenigstens ließen die Krämpfe nach. Der Buntbärtige brachte ihm einen Zwieback und frisches Wasser.
    Bevor die Sonne sank, war der große Mann mit dem Koffer zurück, den er öffnete und voller Interesse untersuchte. Er warf Martin eine Hose und ein gestreiftes Baumwollhemd zu.
    Martin bat um sein zweites Paar Unterhosen, aber der Mann lachte und schloß den

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