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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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nicht sagen können. Der düstere Himmel vor seinen Augen wurde von Blitzen zerrissen, und Martin Fronk machte, daß er zu einem Gehölz kam, um etwas Schutz zu finden, Indianer hin oder her.
    In dem schattigen Hain fand er keine Indianer vor, doch eine freigeräumte Stelle und zertrampelte Vegetation zeigten an, daß sich in den letzten vierundzwanzig Stunden jemand dort aufgehalten haben mußte. Er entzündete ein kleines Feuer und legte zwei Yamswurzeln in die Glut, um sie zu backen, während er sich den Staub von seinem brennenden Gesicht wusch. Es gab dort einen kleinen, etwas trüben Teich. Mit den Händen schöpfte er das schweflige Wasser und trank. Donner- grollen erschütterte den Boden, obwohl die Luft völlig reglos blieb. Ein leises Knallen aus dem Feuer erinnerte ihn daran, daß er vergessen hatte, die Kartoffeln einzustechen, und daß eine geplatzt war. Nichts mehr zu machen. Er stieß sein Messer in die andere, unverletzte (er mußte an den gefolterten Dave Dudley und an den bedauernswerten Uhrenhändler denken, weil die Yamswurzel wie ein gelblicher Bauch aussah), scharrte Kohlen über ihr zusammen und füllte seinen Wasserkanister aus dem Teich. Er spannte das Pferd aus, rieb es ab, fütterte es und gab ihm zu saufen, breitete seine Decke unter dem Buggy aus. Als die überlebende Süßkartoffel gar war, aß er sie heiß und ohne Salz, öffnete eine zweite Dose Austern mitdem Messer, verschlang den Inhalt, trank wieder aus dem Teich, wusch die Konservendose aus und legte sie beiseite, um sie morgens zum Kaffeekochen zu benutzen, kroch unter den Wagen, um sich schlafen zu legen, obwohl es noch heller Tag war, warf sich die Decke über den Kopf, um die Mücken abzuwehren. Ein leiser Windhauch strich über den Boden, so süß und frisch wie gekühltes Wasser. Der Himmel hatte eine schwarzviolette Färbung angenommen, von Blitzen durchzuckt, die niedrig dahinjagende Wolken enthüllten, quer zu den dichter dräuenden Wolkenmassen darüber. Die Wolken waren zerfranst und zerklüftet. Die Brise belebte sich und blies jetzt so heftig, daß sie die stechende Brut vertrieb und einen Zipfel seiner Decke lüpfte. Es war merklich kühler geworden.
    Er döste eine Viertelstunde und wurde von einem entsetzlichen Donnerschlag geweckt. Für einen Moment dachte er, er sei wieder im Zug, denn er hörte nicht weit entfernt einen Güterzug. Wie war er in das Zugdepot gelangt? Ein wahnwitziges Klirren ertönte, und walnußgroße Hagelschloßen klickerten unter den Buggy. Er versuchte, unter dem Wagen hervorzukriechen, doch irgend etwas lag im Weg, etwas mit steifer, nasser Behaarung. Es dauerte einige Sekunden, bis er merkte, daß es sich um sein Pferd handelte. Der Güterzug fuhr genau hinter den Bäumen vorbei, begleitet vom Krachen splitternder Äste. Die Bäume schwankten, einer fiel um. Im Licht der Blitze sah er ihre wogenden Zweige, ein Konfetti abgerissener Blätter und dahinter etwas Schwarzes und unvorstellbar Großes, das wie ein Nachtmahr aufragte. Der unsichtbare Zug, der ohne Licht fuhr, entfernte sich in einer Kurve in die nasse Dunkelheit. Im Westen zeigte ein Streifen farblosen Himmels an, daß der nächste Tag klar sein würde. Erschöpft und von einem allgemeinen Gefühl des Unwohlseins ermattet, schlief er wieder ein.
    Er erwachte früh, vor Sonnenaufgang. Den weiten Himmeltüpfelten himbeerfarbene Wölkchen. Er kroch unter dem Buggy hervor und besah sich sein Pferd. Es war tot.
    Wenig später rührte er auf der Handfläche eine Handvoll Maismehl mit Wasser an, klebte die Masse auf ein paar aufgesammelte Blätter, wo sie härten sollte, während er Feuer machte und zwei flache Steine darin erhitzte. Den Maismehlkuchen buk er auf einem der heißen Steine; auf dem anderen röstete er ein paar Kaffeebohnen, die er mit dem Axtstiel zerkleinerte; in der Konservendose kochte er daraus Kaffee. An der heißen Dose verbrannte er sich Mund und Hände. Er behielt den grobgemahlenen Kaffeesatz im Mund und kaute ihn. Er sah sich abermals das Pferd an und kam zu dem Schluß, daß es möglicherweise vom Blitz erschlagen worden war, denn auf der rechten Schulter und in der Nähe der Fußfessel waren Verfärbungen im Fell erkennbar.
    Er versteckte den Schrankkoffer, so gut es ging, unter einer Böschung, schichtete davor abgerissene Zweige und Steine aufeinander. Er sah nochmals nach dem toten Pferd. Dann machte er sich auf Schusters Rappen gen Westen auf, in der Annahme, daß Woolybucket nicht mehr als zwei oder drei

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